Die Rättin
Hände« ein typisches Zeugnis der Grimmschen Märchensammlung, während Rübezahl, der auf Herrn Matzeraths Wunsch in diesem Film Hausmeister sein soll, nur als Gestalt eines hintersinnigen Kunstmärchens, und zwar bei Musäus zu finden ist.)
Und nun erst, nachdem alle versammelt sind, tritt mit vollem Tablett und in Berufskleidung Rumpelstilzchen als Kellner vors Haus. Leicht aber betont humpelnd bietet es den Gästen der Pension »Zum Knusperhäuschen« diverse Drinks an: »Ein Sanddornflip! Darf es ein Gläschen Hagebuttenwein sein? Oder ein Waldhonigcocktail?« Auf Hänsel und Gretel gemünzt, heißt sein Untertitel: »Und für euch, Kinder, prima Walderdbeerensaft, frisch gepreßt.«
Während alle trinken, nippen, plaudern, tuscheln oder einander stumm, wie Jorinde und Joringel, schwarzsamtene Trauer aus den Augen lesen, während der Prinz immer wieder und dienstbeflissen sein Dornröschen wachküßt, Rotkäppchen der Großmutter Frechheiten wie »Besauf dich nicht wieder!« ins Ohr schreit, die Hexe jetzt mit Brille Hänsel mehr als Gretel betastet, Rumpelstilzchen galant dem Mädchen ohne Hände ein Glas Fliederbeerensaft an die Lippen setzt, die Böse Stiefmutter den aus Urzeiten herrührenden Streit zwischen Schneewittchen und Rapunzel schlichtet und Rübezahl, seitab, als wolle der Geist des Riesengebirges bäumeentwurzelnde Kraft zeigen, für die Pensionsküche auf Vorrat Holz klaftert; während all dies geschieht, ziehen Wolken auf und geht ein Regenschauer nieder, der neben dem Brunnen eine aus Glasröhren montierte Meßanlage ausschlagen läßt: Worauf das Alarmglöckchen schrillt; wie überall im Land fällt auch hier saurer Regen, den die Märchengestalten fürchten.
Da springt der Frosch von der Stirn der schlafenden Dame in den Brunnen, aus dem sogleich in enganliegender Taucherkleidung, jedoch gekrönt der Froschkönig steigt. Die damenhafte Prinzessin erwacht und reibt ihre Stirn, die soeben noch der Frosch bewohnt hat, als plage sie Kopfschmerz. Wie ihr der Froschkönig hochhilft und den Arm bietet, flüchten alle ins Haus, zum Schluß mit Hänsel und Gretel die Hexe, nachdem sie alarmierende Meßdaten vorgelesen hat: »Das hält selbst unser Märchenwald nicht aus.«
Innen ist das Knusperhäuschen wie ein Museum eingerichtet: Regale, Vitrinen vollgestopft. Jedes Ausstellungsstück erklärt sich durch beschriftete Schildchen. Schneewittchen zeigt Hänsel und Gretel ihren gläsernen Miniatursarg, in dem es niedlich in Puppengröße liegt; daneben ist, in Kunstharz eingeschlossen, der vergiftete und angebissene Apfel in Originalgröße anschaulich.
Die Böse Stiefmutter zieht Hänsel und Gretel vom Schneewittchensarg fort und führt sie zu ihrem Zauberspiegel, der die Vorderseite einer hölzernen Truhe abschließt und bedeutungsvoll in der Mitte des Raumes auf einer Kommode steht, in deren Schubladen Bücher lagern könnten, Erstausgaben gesammelter Märchen, einige Kräuterfibeln.
Alle wollen Hänsel und Gretel zeigen, womit sie ausgestellt sind. Rübezahl demonstriert seine knotige Holzkeule. Der humpelnde Kellner Rumpelstilzchen zeigt ein in Spiritus konserviertes Bein, das er sich, wie manche Fassungen des nach ihm benannten Märchens behaupten, zornig, weil sein Name erraten wurde, ausgerissen haben soll. Der Froschkönig nennt eine Kugel gülden »Echtes Dukatengold!« -, die damals, als seine Dame noch jüngstes Töchterchen war, in den Brunnen rollte. Mit beiden Armstümpfen weist das Mädchen ohne Hände auf das Beil seines Vaters. In einer Vitrine, deren Exponate nicht nur sauber beschriftet, sondern auch genau datiert sind »Das war im Wonnemond anno 1789« »Solches begab sich zur Herbstzeit anno 1806« -, ist die Knöchleinsammlung der Hexe zu besichtigen. An sieben Haken hängen sieben Zwergenmützen, als müsse mit dieser Kumpanei demnächst gerechnet werden. Außerdem bilden kolorierte Stiche die Brüder Grimm ab. Feingestrichelte Zeichnungen der Maler Ludwig Richter und Moritz von Schwind an allen Wänden. Zudem Scherenschnitte, die die Bremer Stadtmusikanten, den Wolf und die Sieben Geißlein versammeln. Und weitere Märchenmotive. (Vielleicht sollte ich ein Foto in diese Sammlung schmuggeln, das unseren Herr Matzerath als Knäblein im Matrosenanzug, behängt mit seinem Instrument zeigt, wenngleich ich ihn lieber glatzköpfig als Produzenten gerahmt hätte.)
Doch sind nicht alle Gegenstände steif und museal. In ihrer Zimmerecke stehen Besen und Dreschflegel. Auf ein Zeichen der
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