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Die Rättin

Die Rättin

Titel: Die Rättin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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alles geschehe unwiderruflich, weil man die allerletzte Befehlsgewalt Großcomputern übertragen habe. Deshalb müsse mit der nächsten Stufe zur Friedenssicherung: Einsatz von Interkontinentalraketen gerechnet werden. Das komme nun schicksalhaft aufeinander zu. Möge Gott oder sonst wer unser und Ihr Land schützen! hätten sich die Staatsoberhäupter zugerufen.
Ein frommer, wenn auch verspäteter Wunsch, sagte die Rättin. Doch kaum waren sich beide Schutzmächte in Sachen Schuldzuweisung einig, begannen sie auf die Drittmacht zu schimpfen: Verdammte Ratten! Dieses Geschmeiß! Diese Brut! Dieses undankbare Gezücht, das man jahrtausendelang mitgefüttert und nach menschlichen Notzeiten wieder hochgepäppelt habe. Ein Drittel der Humanproduktion von Mais, Brotgetreide, Reis und Hirse wäre aufs Konto Rattenfraß gegangen. Baumwollernten wären halbiert worden. Und so sehe der Dank aus!
Doch wurde, sagte die Rättin, auch Eigenversagen zugegeben. Beide Staatsoberhäupter räumten ein, daß man versäumt habe, in den computergesteuerten Sicherheitssystemen Vorkehr zu treffen. Man hätte die Millionen und mehr Chips und Klips toxinieren müssen. Zusätzlich wäre angeraten gewesen, alle Großcomputer mit Ultraschall, einem das Rattenohr nervenden Dauerton zu beschallen. Nichts dergleichen sei geschehen. Wer denkt auch an sowas! habe des Ostens grandiger Macheffel gerufen, während es dem westlichen Greis, einer volkstümlich launigen Natur, gefallen hätte, Witze zu reißen: Kennen Sie den, Herr Generalsekretär. Ein Russe, ein Deutscher und ein Amerikaner kommen in den Himmel... Doch dann hätten beide wieder aus einem Mund geklagt: Eindeutig liege die Schuld bei den Ratten; wenngleich nicht ausgeschlossen werden könne, daß gewisse Kreise, nunja, bestimmte Personen gewisser Herkunft, offen gesagt, Personen mosaischen Glaubens, aber auch fanatische Zionisten, letztlich Juden, international verschworene Juden ein gewisses Interesse gehabt haben könnten, jenen teuflischen Plan zu entwickeln, nach dem durch Heranzüchten und Spezialtraining von besonders intelligenten Ratten, die ja, wie man seit Jahrtausenden wisse, ähnlich schlau wie die Juden... Wieder lachte die Rättin auf ihre Weise, doch nicht mehr lauthals, mehr nach innen. Es schüttelte sie. Einzelne Brocken Rattenwelsch Futze Iwri! und Goremesch Ippusch! stieß sie aus, um dann aus gesammelter Bitternis ernst zu werden. Nunja, das kennen wir schon. Die Ratten und die Juden, die Juden und die Ratten sind schuld. Wie dazumal mit Hilfe der Pest, so neuerdings nach nuklearer Methode. War ja schließlich weitgehend ihre Erfindung. Wollten Rache nehmen. Haben schon immer dieses Ziel, einzig dieses Ziel gehabt. Teuflisch, raffiniert, unmenschlich. So gehe der Wunsch Zions in Erfüllung. Eindeutig: Dieses Doppelgezücht, Juden und Ratten sind schuld!
So schimpften eure Macheffels, sagte die Rättin. Und wenn sie nicht schimpften, bedauerten beide Greise sich als Staatsoberhäupter wechselseitig: Wie dumm, daß sowas habe passieren können. Schließlich sei man einander bei den bis gestern noch laufenden Verhandlungen näher, vertrauensvoll immer nähergekommen.
Aber, hörte im Traum ich mich rufen, das ist doch absurd! Ja, sagte die Rättin, das war es: absurd.
Wie können denn Ratten? zweifelte ich.
Wer sagt denn, rief sie, daß wir oder die Juden?
Also waren es gar nicht die Ratten?
Wir wären durchaus in der Lage gewesen.
Also machten wir Menschen gegen jede erklärte Absicht Schluß...
Es klappte wie vorgesehen.
Und niemand wollte aufhören mit dem Schlußmachen? Können vor Lachen! sagte die Rättin. Sie rollte sich ein, als wollte sie schlafen.
Heh, Ratte! rief ich. Sag was, tu was! Das kann doch dein letztes Wort nicht sein!
Da sagte die Rättin: Na gut. Eine Anekdote zum Ausklang. Als die betagten Staatsoberhäupter der beiden Schutzmächte in ihren Endspieltheatern zusehen mußten, wie sich ihre tausend und mehr Interkontinentalraketen, die Friedensmacher, Völkerfreund und ähnlich hießen, ihren jeweiligen Zielen, also auch den strategischen Sicherheitszentren näherten, baten sie einander, von Dolmetschern unterstützt, wiederholt um Verzeihung; eine durch und durch menschliche Geste.
    Mein Zorn, ein Straftäter mit Vorsatz, darf nicht ausbrechen.
Einsicht hindert ihn, dieser dem Weitblick nur durchlässige Zaun.
    So, aus Distanz und gesättigt von abgelagertem Zorn, der eingedickt reifte, wie Käse reift, sehe ich, wie sie durchaus vernünftig
das Ende

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