Die Raffkes
fallen, nahm einen Grashalm und kaute darauf herum. Er sah eine weiße Wolke segeln und freute sich, dass irgendwann vielleicht Marion auftauchen würde, um zu sagen: Wie geht’s dir?
Wie würde sich Ziemann wohl an seiner Stelle verhalten? Wahrscheinlich würde er in das Haus gehen und Marion erklären: Junge Frau, jetzt wird es ernst, jetzt sollten Sie anfangen zu erzählen, was Sie alles wissen. Dabei würde er freundlich lachen und versuchen eine Bindung zu der Frau aufzubauen. Vielleicht würde er erst mal von sich erzählen und sich über sich selbst ein wenig lustig machen, um Marion das Gefühl von Sicherheit zu geben. Er würde da hocken wie ein freundlicher alter Rabe und sich anhören, was sie zu sagen hatte, natürlich ohne Aufzeichnungsgerät und ohne sich Notizen zu machen. Und wenn sie etwas sagte, was ihr selbst gefährlich werden könnte, würde er den Zeigefinger heben und murmeln: Vorsicht, junge Frau.
Aber so kann ich es nicht machen, Ziemann, dachte Mann. Ich habe irgendwann begonnen, diese Frau zu lieben. Das macht das alles etwas komplizierter und ich weiß nicht, ob ich meiner Aufgabe gerecht werden kann.
Plötzlich stand sie hinter ihm und sagte atemlos: »Ich weiß, ich sehe furchtbar aus, aber meine Wäsche hängt auf der Leine und ich habe nichts anderes gefunden.« Sie trug ein schäbiges rot kariertes Männerhemd und eine an den Knien mit brauner Erde beschmierte Männerhose. Weil die Hose zu lang war, hatte sie die Beine hochgekrempelt. Sie setzte sich neben Mann und fragte: »Hast du eigentlich an mich gedacht?«
»Jeden Tag, jede Stunde«, antwortete er. »Auf deiner Mailbox müssen vierzig bis sechzig Nachrichten von mir sein.«
»Ich habe eben in der Badewanne festgestellt, dass ich es gar nicht schlimm finde, meinen Job zu verlieren.«
»Du hast Erspartes«, riet er gutmütig.
»Habe ich. Und nicht zu knapp. Eigentlich bin ich froh, dass es vorbei ist. Und dass ich nichts mehr mit Dreher zu tun habe. Er soll zu seiner Frau zurückgehen. Das ist Strafe genug.«
Er stand auf. »Ich gehe jetzt auch duschen. Und danach würde ich gern wieder hier sitzen und den Abend kommen sehen. Es wurde Zeit, diese Wiese zu finden. Gibt es eigentlich einen Fernseher oder ein Radio?«
»In der Küche habe ich ein Radio gesehen. Das muss mindestens fünfzig Jahre alt sein und ich habe nicht herausgefunden, wie man es anstellt. Dann geh dich waschen, ich suche inzwischen was Essbares.«
Sie stellte sich vor ihn hin und sagte leise: »Bitte, denkst du immer daran, dass ich … dass ich verletzlich bin?«
Mann war verlegen, wusste nichts zu erwidern. Also nickte er nur und stakste über die Wiese davon.
Das Badezimmer war eng, Mann konnte sich kaum um die eigene Achse drehen. Er ließ Wasser in die kleine Wanne laufen und rätselte, wie er in dem engen Behälter sitzen und gleichzeitig sicherstellen konnte, dass er überall nass wurde. Er fand keine Lösung und quetschte sich in die Wanne.
Dann nahm er das Handy und begann zu telefonieren.
Punkt eins auf der Liste war seine Tante. Forsch sagte er: »Hallo!«, was er sonst nie sagte. »Gibt es etwas Neues?«
»Und ob«, erwiderte sie aufgeregt. »Das Fernsehen, also das lokale Fernsehen, hat gerade gemeldet, dass eine Bande Bulgaren die Fortbildungsakademie der Bankgesellschaft im Spreewald überfallen hat. Zu Schaden ist niemand gekommen. Wahrscheinlich, so denkt die Polizei, wollten die Bulgaren das Haus ausrauben. Doch sie fanden es bewohnt und verschwanden wieder. Jetzt frage ich mich, ob du eine Bande Bulgaren bist?«
»Möglich ist vieles«, entgegnete er vorsichtig. »Niemand kam zu Schaden, sagst du?«
»Ja. Wo steckst du, Junge?«
»In der Müritz«, alberte Mann.
»Ist diese Frau, diese … diese Sowieso bei dir?«
»Ja. Wir sind hier in einem Hotel abgestiegen. Schönes Haus, guter Service, nichts auszusetzen.«
»Und was treibt ihr da?«
Mann grinste. »Ich muss diese Frau verhören, Tante Ichen. Deshalb habe ich sie hierher gebracht.«
»Sagt sie denn was? Also ich an ihrer Stelle würde den Mund nicht aufmachen!«
»Denkst du an die Ehefrau dieses Robbys? Du wolltest mir einen Kontakt verschaffen.«
»Ach so, ja. Das habe ich natürlich schon erledigt. Sie ist bereit, mit dir zu reden. Du kannst sie anrufen.« Tante Ichen fuhr nahtlos fort: »Dann hat Katharina mal wieder angerufen und gefragt, wann sie dich erreichen kann. Aber dieses Mal sagte sie, ihr wäre klar, dass die Sache zu Ende ist. Sie will wissen, ob sie die Wohnung behalten
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