Die Ratte des Warlords (German Edition)
die auf dem Deck die Container stapelten.
Gegen Mittag des nächsten Tages liefen sie aus. Kepler blickte durch das matte Bullauge auf die glitzernde Weite des indischen Ozeans, bis er das Gefühl hatte, die Zwölf-Meile-Zone läge hinter dem Schiff. Er hielt sich noch eine Stunde lang aufrecht, bevor er sich hinlegte und in einen tiefen Schlaf ohne Träume fiel.
70. Die Estreil war ein Containerschiff der unteren Panamax-Klasse, zweihundertfünfzig Meter lang und dreißig breit. Sie fuhr unter libyscher Flagge, die Besatzung bestand neben dem Kapitän aus fünf Offizieren und zwanzig Matrosen, Asiaten und Afrikanern. Sie beäugten Kepler mehr oder weniger misstrauisch, manche neugierig, alle zurückhaltend. Er hielt sich auch zurück.
E inen Tag, nachdem sie ausgelaufen waren, setzte der Kapitän sich nach dem Essen zu Kepler, der wie immer allein an einem kleinen Tisch in der Ecke der Messe seine Portion des einfachen, aber nahrhaften Eintopfs löffelte. Die Geste resultierte wohl daraus, dass der Kapitän bei seiner Mannschaft Keplers Bild eines Abenteurers aufrechterhalten wollte. Solche zahlten für die Reise keine kleinen Summen und so stand ihnen einige Aufmerksamkeit zu.
Daraus entw ickelte sich aber ein Gespräch, das seine Fortsetzung nach jedem Essen fand. Der Kapitän schien daran Freude zu haben. Kepler vermutete, dass er Ablenkung vom Schiffsleben suchte. Ihm war es Recht, zumal der Kapitän sich als interessanter Gesprächspartner erwies. Sie sprachen über Schifffahrt, Geschäfte, das Leben oder über Bücher. Der Kapitän las gern Jules Verne, Kepler mochte dessen Romane auch, so hatten sie einiges an Gesprächsstoff.
Das ging soweit, dass der Kapitän Kepler am zweiten Tag mit auf die Brücke nahm. Er musste dringend dahin, aber sie waren sich gerade über die Nautilus uneinig, Kepler bezweifelte, dass der von Verne beschriebene Rumpf imstande war, den Druck am Boden des Marianengrabens auszuhalten. Der Kapitän war logischerweise der Meinung, dass doch. Während Kepler auf der Steuerbord-Brückennock auf ihn wartete, überlegte er sich einige Argumente für seine These. Sie mochten richtig gewesen sein, der Kapitän ließ sie nicht gelten. Aber dafür hatte Kepler seitdem freien Zutritt zu den beiden offenen Nocks der Kommandobrücke. Die Aussicht war hier berauschend.
Ansonsten bemühte Kepler sich, der Mannschaft so wenig wie möglich unter die Augen zu kommen, verbrachte die Tage auf irgendeinem Container, wo er die Sonne und die Meeresluft genoss und las dabei die Bücher aus der Schiffsbibliothek. Es gab dort nur banale Belletristik, aber es war besser als Nichtstun.
D rei Tage später wendete das Schiff in Richtung der Küste. Der Kapitän erklärte, dass sie zwei Container für einen Händler in Mogadischu an Bord hätten und diese im Hafen von El Ma’an löschen würden.
Hafen stellte sich als übertrieben heraus, das Schiff ging etwa zweihundert Meter vor der Küste vor Anker und die Ladung wurde auf Flöße umgeladen. Das Schiff hatte keinen Kran, deswegen mussten die Matrosen den Inhalt der beiden per Hand geleerten Container mit Seil und Winde auf die Flöße abladen. Kepler fiel dabei auf, dass die ganze Besatzung die Ladung löschte, und zwar in einem sehr schnellen Tempo, wie gehetzt. Kepler war gerade auf der Brücke bei dem Kapitän und fragte ihn danach.
"Piraten", erklärte der Kapitän. "Es ist zwar sehr lukrativ, Güter nach Somalia zu bringen, aber hier wimmelt es nur so von Piraten. Wir beeilen uns, damit wir schnell wieder auf hohe See können."
Er hatte relativ gelassen gesprochen, aber Kepler sah, dass der Mann nervös war. Das hätte mir noch gefehlt, dachte er, so zum Abrunden des Ga nzen.
Das Löschen der Ladung dauerte einen halben Tag, und kaum hatte das letzte Floß abgelegt, heulte der Schiffsdiesel auf und die Estreil machte sich schleunigst auf den Weg zum Roten Meer. Kepler entspannte sich. Bis der Kapitän ihm erzählte, dass somalische Piraten um das gesamte Horn von Afrika wüteten, und fügte einige Schauergeschichten über die Brutalität dieser Männer hinzu.
Er lächelte, als er Keplers Besorgnis sah, und war wohl entzückt darüber, eine Lan dratte mit Seegeschichten beeindruckt zu haben.
Als sie jedoch einige Tage später in Höhe von der Insel Socotra dampften, lächelte er nicht mehr. Kepler und er standen an der Reeling auf der Backbordnock, als der Kapitän, der auf die Weiten des Ozeans blickte, plötzlich sein Fernglas hochriss,
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