Die Rebellen von Irland
über. Die Siedler, die teils sogar ihrer Kleider beraubt wurden, flüchteten in die Hafenstädte, um nach England zurückzukehren, oder schlugen sich nach Süden durch, ins fünfzig Meilen entfernte, sichere Dublin.
Unterdessen übertrugen die Lord Justices in Dublin dem Oberhaupt der mächtigen Butler-Dynastie, dem reichen und mächtigen Lord Ormond, der der protestantischen Kirche von Irland angehörte, eilends den Oberbefehl über die Truppen, welche die Regierung aufbieten konnte, um der Bedrohung Herr zu werden.
***
Den ganzen November über strömten Flüchtlinge nach Dublin. Und es war nicht verwunderlich, dass einige auch in der großen Kathedrale Christ Church Schutz suchten. Noch weniger überraschend war, dass die Frau des Küsters sie bereitwillig aufnahm.
Nie zuvor in ihrem Leben hatte Tidys Frau so viel zu tun gehabt. Wenn ein Geistlicher der Kathedrale unerwartet in Kindergesichter blickte, die ihm aus dem Fenster einer früher unterbelegten Wohnung im Kirchenbezirk entgegenstarrten, oder über eine Familie stolperte, die neben einem alten Grabmal in der Krypta lagerte, und daraufhin den Küster fragte: »Ist es wirklich nötig, dass diese Leute in der Kathedrale hausen?«, stieß Tidy einen Seufzer aus und antwortete: »Meine Frau, Sir. Ich kann sie nicht daran hindern.« Und da die Dubliner Protestanten sich in ihrer Empörung darüber, was man den frommen Leuten im Norden angetan hatte, einig waren – und sich schon aus christlicher Nächstenliebe eigentlich jede Kritik verbot –, konnte man tatsächlich nichts machen. Ebenso wenig konnte man sich über die gesalzene Rechnung beschweren, die der Küster dafür präsentierte, dass er nach der Schreckensmeldung stundenlang die große Glocke geläutet hatte.
Bei all diesen Werken tätiger Nächstenliebe hatten die Tidys übrigens einen einflussreichen Fürsprecher.
Hatten die Leute Doktor Pincher bisher für einen Exzentriker gehalten oder, wie der junge Faithful Tidy, sogar ernstlich am Verstand des Alten gezweifelt, so stand er jetzt plötzlich in hohem Ansehen. Hatte er nicht stets vor der katholischen Gefahr gewarnt? Hatte er nicht fest daran geglaubt, dass sich eine katholische Verschwörung zusammenbraute? Jawohl, das hatte er. Er hatte sich als ein Prophet erwiesen.
Doktor Pincher zeigte in sich in seiner neuen Rolle stolz wie ein Schwan. Jeden Tag eilte er zur Christ Church, wo ihn Tidys Frau wie einen Helden empfing und zu den Neuankömmlingen führte. Seine hagere, tintenschwarze Gestalt schritt gemessen zwischen ihnen umher, beugte sich gütig zu jedem hinab und sagte: »Seid frohen Mutes. Ich weiß, was es heißt, für den Glauben zu leiden.« Besondere Genugtuung empfand er, als eines Tages ein schottischer Presbyterianer grimmig erwiderte: »Es war unsere eigene Schuld. Das war die Strafe Gottes dafür, dass wir den Treueeid geleistet haben.«
Mitte November durfte der Gelehrte sogar wieder in der Kathedrale predigen. Dank der Flüchtlinge aus Ulster war sie bis auf den letzten Platz gefüllt. Wieder einmal sprach er über das Bibelwort, das so trefflich in diese Zeit zu passen schien:
Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Aber dieses Mal erübrigte es sich, die Gemeinde vor der katholischen Gefahr zu warnen. Diesmal sprach er den Gläubigen Mut zu, sie sollten nicht verzagen. Denn hatte der Herr nicht gesagt: »Des Menschen Sohn muss viel leiden«?
Das Schwert Christi, so erinnerte er sie, scheide die Auserwählten von den Verdammten.
»Ihr seid das Salz der Erde«, rief er. »Ihr seid das Licht der Welt. Darum seid froh über euer Leid.«
Es war nach allgemeiner Meinung eine der besten Predigten, die je zu Gehör gebracht wurden.
***
In jener Zeit belagerten die katholischen Streitkräfte Sir Phelim O’Neills, wenn auch ohne großen Erfolg, die fünfzig Meilen nördlich von Dublin gelegene Hafenstadt Drogheda. Gleichzeitig suchten die Lord Justices in Dublin immer noch nach Hinweisen auf die Drahtzieher der Verschwörung. Regelmäßig meldeten sich Informanten, allerdings war schwer zu beurteilen, inwieweit ihre Aussagen der Wahrheit entsprachen und wie viel davon erfunden war. In der letzten Novemberwoche gelang es der Dubliner Regierung immerhin, sechshundert schlecht ausgebildete Soldaten als Entsatztruppe nach Drogheda zu entsenden. Zwei Tage später traf jedoch die Nachricht ein: »Die katholischen Rebellen haben sie vernichtend geschlagen.«
Für die Lord Justices in Dublin wurde es
Weitere Kostenlose Bücher