Die Rebellen von Irland
Fehler. Nachdem er seine Tüchtigkeit in einem Geschäftszweig unter Beweis gestellt hatte, erlag er der Versuchung, sich in einem anderen zu versuchen, von dem er nichts verstand. Er investierte sein gesamtes Kapital und noch einmal die Hälfte der Summe, für die er eigens einen Kredit aufnahm, in eine Schiffsladung Wein.
Sie kam aus Bordeaux, über einen Händler in Galway. Der Preis war gut – zu gut. Hätte er einen beliebigen Weinhändler in Dublin um Rat gefragt, so hätte der ihn vor Geschäften mit dem Mann aus Galway oder dem Verschiffer in Bordeaux gewarnt. Da er aber in fremdem Revier wilderte, hielt er seine Unternehmung geheim. Er bezahlte den Wein, und das Schiff lieferte. Der Wein war ungenießbar, und der Mann aus Galway nicht aufzufinden.
Sein Kapital war verloren. Und er hatte hohe Schulden. Es gelang ihm, von seinen üblichen Lieferanten etwas Kredit zu bekommen, sodass er seine Geschäfte weiterführen konnte. Doch was er auch unternahm, die Schuldenlast drückte auf seine Brust wie ein Alp, der sich nicht abschütteln ließ. Wochen vergingen, doch er sah keinen Silberstreif am Horizont. Die Schulden drohten ihn zu vernichten. Und schlimmer noch. Sie drohten auch seine arme Familie mit in den Abgrund zu reißen. Dieser Gedanke war ihm unerträglich. MacGowan verlor jeden Antrieb und versank in Teilnahmslosigkeit.
Wenn keine Abhilfe geschaffen wird, dachte Terence Walsh, wird der Mann entweder dahinsiechen oder einen Schlag bekommen und tot umfallen.
Das Tragische an der Sache war, dass der Krämer ein gut gehendes Geschäft führte, wenn man einmal von seinen Schulden absah. Terence selbst hatte als junger Mann zwar keinen Gefallen am Kaufmannsberuf gefunden, aber er kannte den Handel gut genug, um beurteilen zu können, wie es um MacGowan bestellt war. Der Mann hatte nicht nur einen großen Verkaufsstand und eine treue Kundschaft, sondern auch zahlreiche Lieferanten und somit alle Möglichkeiten, aus der gegenwärtigen Verknappung und Verteuerung von Nahrungsmitteln Kapital zu schlagen. Eigentlich war jetzt sogar ein günstiger Zeitpunkt, das Geschäft zu vergrößern. Wäre MacGowans Schuldenlast kleiner, dachte Terence, und hätte ich keine Familie zu versorgen, würde ich das Risiko eingehen und ihm selbst einen Kredit geben.
»Ich kann nichts versprechen«, sagte er zu dem Krämer, »aber Sie dürfen nicht aufgeben. Meines Erachtens ist Ihre Lage nicht so hoffnungslos, wie Sie glauben. In ein paar Tagen schaue ich wieder vorbei. Inzwischen müssen Sie essen, jeden Tag ein Glas Brandy trinken und zur Christ Church gehen, jeden Tag hin und zurück. Ich werde mit Ihrer Frau sprechen. Sie soll dafür Sorge tragen, dass Sie meine Anweisungen auch wirklich befolgen. Dann werden wir weitersehen.« Und nachdem er Mrs MacGowan seine Vorschläge noch einmal nachdrücklich ans Herz gelegt hatte, verabschiedete er sich.
Es war das erste Mal, dass er sich anschickte, einen kranken Patienten durch die Beschaffung von Geld zu heilen, doch er freute sich auf die Aufgabe. Er mochte MacGowan, und Terence war entschlossen, sein Möglichstes zu tun, um ihn zu retten.
Als er das Ende der Straße erreichte und sich noch einmal nach dem Haus des Krämers umblickte, kam ihm eine andere Person in den Sinn, der er vor langer Zeit zu helfen versucht hatte. Fast zwanzig Jahre war es jetzt her, dass er dem jungen Garret Smith dort eine Lehrstelle vermittelt hatte und dass der junge Mann ganz plötzlich aus Dublin verschwunden war. Der Himmel wusste, was aus ihm geworden war.
***
Der Abendhimmel färbte sich rosa. Die Kutschen hatten ihre menschliche Fracht vor dem eingefriedeten Bezirk von Christ Church abgeladen, und wie ein glitzernder Bach strömte die vornehme Dubliner Gesellschaft hinunter zu der stattlichen Music Hall, die sich jetzt neben der Fishamble Street, einer mittelalterlichen Durchgangsstraße, erhob. Die Herren hatten heute auf ihre mit Edelsteinen besetzten Degen, das Zeichen ihres Standes, verzichtet und die Damen auf ihre Reifunterröcke, die ihre Kleider normalerweise so bauschten, dass sie wie mit Bändern geschmückte Schlachtschiffe aussahen. Dieser Verzicht war auf besonderes Ersuchen der Musical Society geleistet worden, da die vielen Zuhörer sonst keinen Platz gefunden hätten.
Innen bot sich ein prächtiges Bild. Die Music Hall schien von zehntausend Kerzen erleuchtet. Vorn, auf einem Podium, saßen die vereinten Chöre der Kathedralen Christ Church und St. Patrick’s, der
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