Die Rebellen von Irland
dass sein Vater krank sei, hatte er es nach Hause geschickt und ausrichten lassen, dass er in spätestens einer Stunde vorbeischaue.
Als er sich nun dem Haus näherte und den Hof betrat, fiel ihm auf, dass es seltsam still war. MacGowans Frau empfing ihn an der Tür. Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie murmelte ein paar unverständliche Worte und winkte ihn zum Kamin.
Der Krämer saß zusammengesackt in einem Sessel. Sein Gesicht war aschfahl, sein Rückgrat gekrümmt wie bei einem alten Mann, und er hatte so stark abgenommen, dass seine Kleider wie Lumpen an ihm hingen. Als er aufschaute, sah Terence in seinen Augen nur Schmerz und Hoffnungslosigkeit.
Der Winter 1740/41 war in ganz Irland sehr streng gewesen, und seitdem gab es in vielen Teilen des Landes Missernten. Das Gebiet um Dublin war noch glimpflich davonkommen, sodass die Versorgung der Hauptstadt nicht gefährdet war, aber Munster hatte es besonders schwer getroffen. Vor einem halben Jahr, im Sommer 1741, war Terence in Munster gewesen. Die Zustände in den ländlichen Gebieten, wo die Ärmeren buchstäblich verhungerten, hatten Terence entsetzt. Wie immer in solchen Zeiten waren es die Alten und die Kinder, die hinweggerafft wurden, aber ihre Zahl war hoch. Er hatte nie zuvor eine Hungersnot erlebt, und die Erinnerung an die Menschen, denen er in den Dörfern, durch die er kam, begegnet war, verfolgte ihn seitdem. Viele hatten so ausgesehen wie MacGowan jetzt.
Nur litt der Dubliner Viktualienhändler ganz gewiss nicht an Unterernährung.
»Haben Sie Schmerzen?«, fragte Terence.
»Nur im Rücken, Doktor.« MacGowan deutete zwischen seine Schulterblätter. »Ein dumpfer Schmerz, der immer wiederkommt.«
Litt der arme Teufel unter einer Art Schwindsucht oder kündigte sich ein Schlagfluss an?
»Sind Sie kurzatmig?«
»Eigentlich nicht.«
»Haben Sie sonstige Beschwerden? Schlafen Sie gut?«
»Nein«, mischte sich seine Frau ein. »Er hustet und wälzt sich die ganze Nacht, und dann sitzt er stundenlang so da. Er bewegt sich kaum noch.« In ihrer Stimme schwangen Besorgnis und ein Anflug von Ärger mit. »Er kümmert sich kaum noch um das Geschäft.«
Mit den Jahren war Terence Walsh ein guter Arzt geworden. Denn er besaß die beiden wichtigsten Vorzüge, die einen praktischen Arzt zu allen Zeiten auszeichnen: Er kannte die menschliche Natur und hatte ein intuitives Gespür für das Befinden seiner Patienten. Er glaubte zu Recht, dass ein Arzt ohne Intuition nutzlos sei.
»Und wie gehen die Geschäfte, Mr MacGowan?«, fragte er.
»Ganz leidlich.«
Doch seine Frau schüttelte den Kopf.
»Es liegt an dieser Schiffsladung Wein. Davor ging es ihm noch gut.«
Terence betrachtete den Krämer nachdenklich.
»Mrs MacGowan«, sagte er, »ich brauche zwei kleine Becher, und dann möchte ich mit dem Patienten allein gelassen werden.«
Als man seinen Wünschen nachgekommen war, zog Terence eine silberne Taschenflasche aus seinem Rock.
»Brandy, MacGowan«, sagte er und goss davon in jeden Becher. »Ich genehmige mir auch einen.« Er sah zu, wie der Krämer seinen Becher in einem Zug leerte, und nippte an seinem. »Ich schlage vor, Sie erzählen mir jetzt die ganze Geschichte.«
Es dauerte nicht lange, und Doktor Walsh stimmte Mrs MacGowans Diagnose zu. Die Ursache für den Zustand des Krämers war mit ziemlicher Sicherheit eine Schiffsladung Wein.
In gewisser Weise waren die Probleme des Mannes das Resultat seines Erfolgs. Seine Viktualienhandlung war immer gesund gewesen, und im Lauf der Jahre hatte MacGowan seine Geschäfte erfolgreich ausgeweitet und seinen Marktstand vergrößert. Und er hatte einen bescheidenen Großhandel aufgezogen, indem er von Bauern aus dem Umland größere Mengen Getreide, Mehl und Butter kaufte und an andere Händler veräußerte. Dabei kam es ihm zugute, dass er Katholik war. Da nämlich nur die katholischen Händler in Dublin Katholiken beschäftigten, tätigten die katholischen Bauern aus dem Umland ihre Geschäfte am liebsten mit ihnen. Auf diese Weise hatte er ein ausgedehntes Netz von Geschäftsbeziehungen geknüpft. Die älteren seiner Kinder gingen entweder bei anderen Kaufleuten in die Lehre oder hatten sich selbstständig gemacht, die jüngeren halfen im väterlichen Betrieb. Als rühriger Mittfünfziger stand MacGowan kurz vor der Aufnahme in den erlesenen Kreis jener Kaufleute, deren Namen in der Kaufmannsgilde der Stadt auftauchten.
Dann beging er jedoch einen verhängnisvollen
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