Die Rebellen von Irland
Haufen.«
Stephen trat zu ihm ans Fenster. Ungefähr vierzig Männer schritten die Straße herauf. Ein älterer Priester begleitete sie, doch an ihrer Spitze marschierte ein kleiner, dunkelhaariger Mann, der grimmig, aber entschlossen dreinblickte.
»Das ist Callan, der Agent«, sagte Charles. »Der Grundherr lebt in England. Der alte Priester heißt Casey. Ein guter Mann, aber ich weiß nicht, ob er sie bei der Stange halten kann.«
»Was?« Daniel O’Connell eilte quer durchs Zimmer. »Öffnet das große Fenster«, befahl er und trat auf den Balkon hinaus. Die Männer unten sahen ihn. Die Zuschauer am Straßenrand spendeten Beifall. O’Connell hob die Hand. Die marschierenden Männer blieben stehen, die Menge verstummte.
»Sind die Vierzig-Shilling-Freisassen Sklaven?« Seine Stimme donnerte vom Balkon und erfüllte die Straße. Die Männer schauten zu ihm auf, und als er ihre Blicke erwiderte, verströmte seine hünenhafte Gestalt wie durch Zauberei Stärke und Zuversicht. »Sind sie wie Neger, die man mit der Peitsche zum Sklavenmarkt treibt?« Seine Augen suchten jeden Mann. »Ich glaube das nicht.«
Callan runzelte die Stirn. Die Menge jubelte. Auch die Männer jubelten, aber es war ihnen anzumerken, dass sie Angst hatten. Offensichtlich hatte Callan ihnen gedroht. Stimmen aus der Menge riefen: »Los, Leute. Stimmt für die alte Religion.«
Stephen stach besonders ein Mann ins Auge. Ein großer, gut aussehender Bursche mit blauen Augen. Er hatte aus Respekt vor O’Connell die Mütze abgenommen, drehte sie aber, augenscheinlich von Zweifeln gequält, in den Händen.
O’Connell trat zurück. »Arme Teufel«, sagte er. »Der kleine Agent hat ganze Arbeit geleistet, wie man sieht.«
»Hat er ihnen mit Vertreibung gedroht?«, fragte Stephen.
»Nein. Er hat etwas noch Wirkungsvolleres getan. Er hat ihren Frauen gedroht.«
Die Männer wollten sich gerade wieder in Bewegung setzen, als sie abermals angehalten wurden, diesmal von einem Priester, der mit ihrem Auftreten offensichtlich unzufrieden war und beschlossen hatte, das Feuer ihrer Begeisterung zu schüren. »Das ist Father Murphy«, sagte Charles O’Connell. »Jetzt gibt’s was zu hören.« Er öffnete das Fenster wieder.
Father Murphy war ohne Frage eine eindrucksvolle Erscheinung. Groß, hager, mit langem weißem Haar, das ihm glatt auf die Schultern fiel, und Augen, die wie Kohlen glühten, funkelte er die Männer an wie ein alter Prophet und begann, ihnen auf Irisch eine flammende Rede zu halten.
***
William Mountwalsh war froh, dass er nach Ennis gekommen war. Er glaubte nicht, dass er die vollen fünf Wahltage bleiben würde, aber es war ein historisches Ereignis, und er würde jedem erzählen können, dass er dabei gewesen war.
Den jungen Stephen Smith fand er amüsant. Gewiss, der Junge war zynisch und hart, und er hielt das Leben für ein Spiel. Aber William hatte die Erfahrung gemacht, dass junge Männer um die zwanzig entweder zu idealistisch oder zu zynisch waren. Mit der Zeit würde er sich bessern.
Und seinen neuen Freund, den Quäker Tidy, mochte William erst recht.
Die Quäker bildeten in Dublin und Cork eine ziemlich rührige Gemeinde, deshalb hatte er sich gesagt, es sei an der Zeit, sie besser kennen zu lernen. Er musste zugeben, dass er aus ihnen nicht recht schlau wurde. Statt einen Gottesdienst abzuhalten, saßen sie in ehrfürchtigem Schweigen in ihren Bethäusern, und wenn sich einer dazu gedrängt fühlte, stand er auf und ergriff das Wort. Sehr merkwürdig. Doch ein paar Tage mit Tidy reichten, um den Earl tief zu beeindrucken. Der Quäker übte keine Kritik an anderen Konfessionen, und er versicherte William, dass seine Glaubensbrüder niemals versuchten, Andersgläubige zu bekehren. Samuel Tidy rechtfertigte nicht, er verurteilte nicht, er versuchte nur, seinen Nächsten in gottgefälliger Weise zu behandeln. Taten statt Worte, so schien sein Leitsatz im Alltag zu lauten.
Hier in Ennis merkte der Lord Tidy aber an, dass er ziemlich schockiert war, und er konnte es ihm nicht verdenken.
»Was ich hier sehe, gefällt mir nicht, Mr Tidy. Ihnen?«
»Wir Quäker glauben an etwas anderes.«
William nickte und schürzte die Lippen. Das Dumme war, dass er das alles schon einmal erlebt hatte. Er hatte miterlebt, wie die Französische Revolution in Terror und Diktatur mündete. Wie schnell der Unterdrückte zum Unterdrücker werden konnte. Seit seiner Kindheit unterstützte er die Emanzipation der Katholiken, und wenn
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