Die Rebellen von Irland
Tage zu bleiben. »Das könnte Sie aufmuntern«, hatte ihm Seine Lordschaft geraten.
»Von Krise würde ich nicht unbedingt sprechen«, sagte Dudley Doyle jetzt nicht unfreundlich. »Eher von einem Scheideweg.«
»Irland steht an einem Scheideweg, nicht ich«, erwiderte Stephen. »In den vergangenen zwölf Jahren konnten wir viel Gutes für das Land tun, doch angesichts der drängenden Probleme ist es immer noch wenig. Die Armut ist schrecklich.«
»Trösten Sie sich, Stephen«, sagte William Mountwalsh. »Hier in Leinster ist die Lage nicht so schlecht. Und vergessen Sie nicht: Englands Dauerkrieg gegen Napoleon war sehr gut für Irland, weil wir den Engländern viele Nahrungsmittel verkaufen konnten. Als er zu Ende war, machten wir uns Sorgen. Für die Rindfleischindustrie war der Frieden ein schwerer Schlag. Aber sehen Sie sich an, was geschehen ist«, fuhr er fröhlich fort. »Dank der neuen Eisenbahn in England können wir lebende Rinder in jeden Teil des dortigen Marktes verschicken, was uns vorher nicht möglich war. Es gibt mehr Menschen, deshalb haben die Getreidepreise ihr Niveau gehalten. Unseren Bauern geht es gut.«
»Für Wexford mag das stimmen«, erwiderte Stephen. »Aber ich kann Ihnen sagen, dass meine Familie und ihre Nachbarn oben in den Wicklow-Bergen gerade genug zum Überleben haben. Bei meinem letzten Besuch in Rathconan lebten dort doppelt so viele Menschen wie in meiner Kindheit. Sie haben erbärmlich kleine Kartoffeläcker auf kahlen Berghängen angelegt, wo früher nur Schafe weideten. Einige dieser Menschen sind bitterarm.«
»Das mag sein«, entgegnete Dudley Doyle, »aber sehen Sie sich Ulster an. Die Menschen dort haben kleine Höfe, aber es geht ihnen gut. Außerdem haben sie die Leinenindustrie und vieles andere mehr.«
»Ulster kenne ich so gut wie nicht«, gestand Stephen. »O’Connell reist ja nie dorthin. Die Presbyterianer haben in letzter Zeit so harte Töne angeschlagen, dass wir dort kaum willkommen sein dürften.« Er hielt inne. »Nein, ich denke vor allem an den Westen. An Clare, Galway, Mayo. Dort wird es immer schlimmer.«
»Ah ja, der Westen, das ist etwas anderes«, räumte Mountwalsh ein.
»Liegt das nicht an den bösen Grundbesitzern?«, fragte Henrietta. »Ich meine, wenn die Grundbesitzer so wären wie William …«
»Dann wäre es besser«, räumte Stephen höflich sein, »aber die Probleme sind so groß, dass auch die besten Grundbesitzer sie nicht lösen könnten. Ich weiß wirklich nicht, was wir tun sollen.«
William blickte in die Runde. Am Tisch saß eine fünfte Person, die sich an dem momentanen Gespräch noch gar nicht beteiligt hatte. An sie wandte er sich jetzt.
»Und was meinen Sie, Miss Doyle?«
Es war eigenartig, dass Dudley Doyles älteste Tochter – im Unterschied zu ihren beiden jüngeren Schwestern – noch nicht verheiratet war. Sie sah gut aus, und es war bekannt, dass ihr Vater ihr eine Rente von dreitausend Pfund ausgesetzt hatte. Sie war fünfundzwanzig, hatte eine ruhige, liebenswürdige Art, eine gesunde Gesichtsfarbe und schöne, intelligente braune Augen.
»Solche Dinge überlasse ich den Männern«, antwortete sie und lächelte.
»Oh, ich auch«, sagte Henrietta.
Doyle betrachtete seine Tochter neugierig. Warum zum Teufel sagte sie das? Stephen sah sie ebenfalls an, höflich und nur ein bisschen gelangweilt.
»Ich fürchte, ich enttäusche Sie, Mr Smith«, sagte sie.
»Aber nein, ganz und gar nicht«, erwiderte er, was natürlich nicht stimmte.
»Das eigentliche Problem ist doch«, ergriff William Mountwalsh das Wort, »dass wir auf unserer Insel zu viele Menschen zu ernähren haben. Nach Schätzungen der Regierung sind es mittlerweile weit über acht Millionen. Die Anbautechniken in der Landwirtschaft müssen deutlich verbessert werden, namentlich im Westen. Aber wie es scheint, ist Irland der lebende Beweis für die Theorie von Thomas Malthus, nach der sich die Menschheit stets schneller vermehrt, als die Nahrungsmittelproduktion wächst. Deshalb haben wir im Lauf der Jahrhunderte immer wieder Kriege gehabt.« Nun, da er das Gespräch wieder belebt hatte, wie es sich für einen guten Gastgeber gehörte, wandte er sich an Doyle. »Sie beschäftigen sich doch mit diesen Dingen, Dudley. Geben Sie uns eine Antwort.«
Doyle sah alle der Reihe nach an. Es störte ihn nicht, dass er ein Publikum hatte. Er wartete einen Augenblick.
»Die Antwort«, sagte er mit einem schwachen, selbstzufriedenen Lächeln, »lautet, dass
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