Die Rebellen von Irland
aus, wie ein Kuhhirte oder legendärer Held auf dem Erdboden zu schlafen, statt in einem Haus. Aber nach sorgfältigem Abwägen hatte er sich doch für drinnen entschieden. Vorsichtig stieg er über schlafende Körper, bis er sich schließlich langsam zu diesem Ort manövriert hatte, wo er eine Tür fand. Er konnte den zitternden Prediger im Dunkeln nicht sehen und fragte deshalb durchaus vernünftig:
»Ist hier noch ein Schlafplatz frei?«
Doktor Pincher verstand die auf Irisch gestellte Frage zwar nicht, aber es war ihm klar, dass er etwas antworten musste.
»Verschwinden Sie von hier«, schrie der Philosoph.
Die englische Antwort überraschte Tadgh O’Byrne, aber er verstand sie hervorragend. Er dachte nach. Das wichtigste Detail an der Antwort war neben der Sprache, dass sie nur von einer einzelnen Stimme herrührte. Er lauschte nach den Atemgeräuschen anderer Schläfer, hörte aber nichts. Seine nächste Frage stellte er dann auf Englisch:
»Haben Sie ein Weib da drin?«
»Wie können Sie es wagen! Natürlich nicht!«, zischte Doktor Pincher.
Tadgh O’Byrne war zwar kein studierter Philosoph, aber nach nur einem oder zwei Augenblicken wurde ihm klar, dass sich die Gestalt in der Dunkelheit gerade eines Non Sequitur schuldig gemacht hatte. Denn wenn sonst niemand im Raum war und der Fremde kein Weib bei sich hatte, dann bedeutete das ipse facto, dass es keinen Grund für ihn gab, zu verschwinden. Er wollte nicht unhöflich sein, deshalb überprüfte er seine Schlussfolgerung noch einmal gründlich, fand aber keine Schwachstellen. Und gerade als er sich dies bestätigt hatte, beging Doktor Pincher einen schweren Fehler. In der Annahme, dass die Gestalt vor ihm sowohl betrunken als auch begriffsstutzig war, sagte er sehr laut und deutlich:
»Dies … ist … mein … Bett.«
»Bett?« Ein ganz neuer Gedanke. »Haben Sie etwa ein Bett bekommen?« Für Tadgh war das Schlafen in Federbetten zwar ein Grund gewesen, seinem Blutsverwandten Brian Dekadenz und Weichlichkeit zu unterstellen, aber in diesem Augenblick erschien ihm die Aussicht, ein bequemes Bett zu teilen, besser als eine Nacht auf dem harten Holzboden. Er trat ein, schloss die Tür hinter sich, fand mit erstaunlicher Zielsicherheit das Bett und streckte suchend die Hand aus. Doktor Pincher, der aus Todesangst und Ekel so weit vor ihm zurückgewichen war als möglich, hatte ihm so unwillentlich genau den Platz verschafft, den er brauchte. »Na also«, sagte Tadgh freundschaftlich. »Hier ist doch genug Platz für uns beide.«
Und er wäre sofort neben dem fassungslosen Prediger eingeschlafen, wenn ihn nicht plötzlich die Neugier gepackt hätte. Wer mochte dieser englische Fremde sein, der bei der Totenwache des O’Byrne von Rathconan ein eigenes Zimmer bekommen hatte?
»Ein guter Mann«, sagte er in die tintenschwarze Nacht. »Kein Zweifel, Toirdhealbhach O’Byrne war ein guter Mann.« Er wartete auf eine Antwort, aber der Fremde neben ihm blieb so stumm wie die Leiche unten. »Haben Sie ihn gut gekannt?«, fragte er.
»Ich kannte ihn überhaupt nicht«, sagte Pincher in kaltem Ton.
Inzwischen hatte er begriffen, dass ihm von dieser abstoßenden Gestalt keine unmittelbare Lebensgefahr drohte. Im Moment beschäftigte ihn hauptsächlich die Frage, ob es besser sei, aus dem Bett zu steigen und selbst auf dem harten Boden zu schlafen, oder liegen zu bleiben und die Nähe – und den Geruch – dieses Mannes zu ertragen.
»Aber Sie sind sicher zu seiner Totenwache gekommen, um ihm Ehre zu erweisen«, sagte Tadgh. Engländer oder nicht, das war anständig, wenn auch ungewöhnlich. »Dürfte ich Sie nach Ihrem Namen fragen? Ich selbst heiße Tadgh O’Byrne«, sagte er höflich.
Warum mussten diese Iren nur alle derartig barbarische Namen tragen, fragte sich Pincher. Schon der Klang – Tighe O’Byrne neben ihm und der unten aufgebahrte Turlock O’Byrne – schmerzte den Ohren, aber die Schreibweisen Tadgh und Toirdhealbhach widersprachen jeglicher Vernunft. Im Stillen verfluchte er sie alle. Er hatte überhaupt keine Lust, sich mit Tadgh O’Byrne zu unterhalten. Andererseits würde die Kreatur vielleicht wütend werden, wenn er die Antwort verweigerte.
»Ich bin Doktor Simeon Pincher vom Trinity College in Dublin«, offenbarte er widerwillig.
»Vom Trinity College?« Also Engländer und Ketzer. Aber vielleicht trotzdem ein Gelehrter. Er wagte sich vor: »Dann sind Sie sicher in Latein und Griechisch bewandert?«
»Ich lehre Griechisch«,
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