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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Entsetzen.
    Eine irische Totenwache. Offenbar hatte Doyle nicht gewusst, dass es in der Familie O’Byrne einen Todesfall gegeben hatte, als er ihm vorschlug, dort Rast einzulegen. Pincher fragte sich, was er tun sollte. Sollte er vielleicht ein anderes Haus suchen? Ein Stück weiter südlich lag das uralte Kloster Glendalough. Wahrscheinlich könnte er es bis zur Abenddämmerung erreichen. Gab es dort überhaupt ein bewohnbares Haus? Er wusste es nicht. Er hatte keinesfalls die Absicht, in der Hütte irgendeines Bauern zu übernachten oder die Nacht im Freien in der Wildnis der Wicklow-Berge zu verbringen. Sollte er gleich weiterreiten oder fragen, ob es in der Nähe noch andere Häuser gab? Er verharrte noch unschlüssig, da sah er einen gut aussehenden, hellhaarigen jungen Mann auf sich zukommen, der nach englischer Sitte gekleidet war.
    Er stellte sich als Brian O’Byrne vor und sah Pincher mit seinen auffallend grünen Augen an.
    Der Doktor trug sein Anliegen vor und erklärte, dass er auf Doyles Anraten hier sei. Er entschuldigte sich für sein unangebrachtes Eindringen. »Doyle wusste nichts vom Tod meines Vaters, als er Sie zu mir schickte«, antwortete der junge Mann. »Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen«, erwiderte Pincher. Wusste O’Byrne vielleicht ein anderes Haus in der Gegend, wo er für die Nacht unterkommen könnte? Davon wollte der junge Brian nichts hören. »Im oberen Stockwerk gibt es eine Kammer, wo Sie bequem die Nacht verbringen werden – auch wenn ich Ihnen nicht versprechen kann, dass es ruhig wird.« Pincher wusste nicht, wo er sonst unterkommen sollte, und wollte den jungen Clanführer auch nicht beleidigen. Also ließ er sich widerwillig zu dem alten Steinturm führen.
    Rings um das Haus hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, es waren bestimmt mehrere hundert Leute. Überall standen mit Speisen und Süßigkeiten beladene Tische. Einige Gäste tranken Wein, aber die meisten hielten sich an Bier oder Whiskey. Pincher wies seinen Diener an, die Pferde zu versorgen. Er hoffte nur, dass der Kerl nicht betrunken war, falls er ihn brauchte. Dann begleitete er Brian O’Byrne ins Haus. Er wusste immerhin so viel von irischem Brauchtum, dass ihm klar war, was ihn als Nächstes erwartete. Sein Gast führte ihn zu einem Zimmer im hinteren Teil des Turms, wo auf einem großen, mit weißen Laken verhüllten Tisch der Körper von Toirdhealbhach O’Byrne lag. Der Tote war gewaschen und rasiert; ein stattlicher Mann, das musste Pincher zugeben, auch wenn sein Gesicht im Tod in sich zusammengesunken war. Zwischen den gefalteten Händen steckte ein Kruzifix. Im Raum befand sich außer ihnen niemand mehr, denn die anderen hatten schon vor einiger Zeit von dem Toten Abschied genommen. Nur eine Frau mittleren Alters saß auf einem Hocker in der Zimmerecke, damit der Tote nicht allein sein musste. Das Zimmer war durch das Meer von Kerzen auf einem schmalen Tisch an der Wand hell erleuchtet, und der wächserne Rauch verlieh dem Raum eine beinahe kirchliche Atmosphäre.
    Pincher versuchte, die Augen von dem verfluchten Rosenkranz abzuwenden und murmelte, wie es von ihm erwartet wurde, dass der ehemalige Clanführer sehr würdig aufgebahrt worden war. Da er den Gentleman selbst nicht kannte, konnte er nur erneut sein Beileid bezeugen. Danach zog er sich höflich zurück und folgte seinem jungen Gastgeber eine Wendeltreppe hinauf zu einer geräumigen Schlafkammer mit einem Holzbett, das nicht schlechter war als sein eigenes in Dublin. Kurze Zeit später erschien Brian O’Byrne wieder und brachte ihm höchstpersönlich Wein und Abendessen. In Anbetracht der Tatsache, dass gerade die Totenwache seines Vaters stattfand und er sich um alle Gäste kümmern musste, war das sogar in Pinchers Augen höchst anständig von ihm. Sein Gastgeber lud ihn auch herzlich ein, sich der Gesellschaft unten jederzeit anzuschließen, falls er den Wunsch dazu verspüre. Pincher verstand dieses Angebot zu Recht als Freundlichkeit, aber nicht als Zwang, und lehnte dankend ab. Und so blieb der gelehrte Prediger, der zu Höherem bestimmt war als der Gesellschaft von Iren, den Rest des Abends allein in seinem Zimmer.
    Wenn es nur nicht so laut gewesen wäre. Das traditionelle Klagegeheul der Frauen, die wilden Klagelieder und die verzweifelten Schreie hatten ihn schon immer abgestoßen. »In ihrer Trauer sind sie Wilde«, hatte er einst seiner Schwester geschrieben. Gnädigerweise war dieser Teil der Feierlichkeiten

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