Die Rebellen von Irland
»Sei doch vorsichtig, Lawrence. Die Regierung in Dublin steht ausländischen Schulen sehr misstrauisch gegenüber. Meine Loyalität wird nicht angezweifelt, aber vergiss eines nicht: In der Burg sitzen genügend Männer, die am liebsten verbieten würden, dass Katholiken Advokaten werden können. Diese Leute wissen bereits sehr genau, dass du Jesuit bist. Und da nun mal Orlando diesen Besitz erben wird, wenn ich nicht mehr da bin, ist es besser, wenn sie nicht hören, dass er in ein Priesterseminar geht. Er sollte lieber sicher an meiner Seite bleiben.« Orlando hörte, wie Lawrence eine Antwort murmelte, konnte aber den Wortlaut nicht verstehen. Er hörte seinen Vater jedoch in bestimmtem Ton erwidern: »Das glaube ich nicht. Sprich nicht mehr davon.«
Für gewöhnlich ging Martin Walsh ein- oder zweimal wöchentlich nach Dublin, um seine Geschäfte zu erledigen. Oft durfte Orlando ihn begleiten. Wo sie auch hingingen sah er, dass alle seinen ehrlichen, vorsichtigen Vater respektieren und mochten.
»Ein Advokat erfährt die Geheimnisse vieler Männer«, erklärte Martin seinem Sohn. »Und diese Männer müssen wissen, dass sie ihm alles anvertrauen können. Ein Advokat weiß alles, Orlando, aber er verrät nichts. Merk dir das.«
Manchmal zeigte er schelmisch auf ein hübsches Mädchen und fragte Orlando, ob er es gern heiraten würde. Dies hatte sich zu einem freundschaftlichen Ritual entwickelt. Orlando antwortete seinem Vater immer, sie sei nicht hübsch genug, er müsse sich schon ein bisschen mehr anstrengen. Dann fragte sein Vater ihn, wie viele Kinder er haben wolle. »Ein volles Dutzend. Sechs Jungen und sechs Mädchen«, erwiderte er dann. Und Martin freute sich.
Oft besuchten sie auch seine Schwester. Anne hatte bereits drei Mädchen geboren und hoffte immer noch auf einen Jungen, den sie Maurice nennen wollte. Sie war seit ihrer Heirat ein bisschen fülliger geworden, und ihr Ehemann und ihre Kinder beschäftigten sie den ganzen Tag lang, aber für Orlando war sie in vieler Hinsicht immer noch die alte Anne. Ihr Ehemann Walter hatte sich als Glückstreffer erwiesen, und je älter Orlando wurde, desto mehr Sympathie empfand er für ihn. Ein gütiger, aufrechter Mann, der Anne offensichtlich verehrte. Walter würde eines Tages ein stattliches Vermögen von seinem Vater erben, aber oft sagte der alte Peter Smith stolz: »Er braucht mein Geld gar nicht. Er hat es bereits selbst zu Wohlstand gebracht.« Peter Smith verbrachte seine Zeit am liebsten auf seinem Anwesen in Fingal, aber Walter und Anne blieben meistens mit ihren Kindern in der Stadt. Sie besaßen ein schönes Giebelhaus in der Saint Nicholas Street beim alten Tholsel. Das einzige Thema, das die beiden niemals ansprachen, war der Tod von Patrick Smith. Aber Orlando war sich sicher, dass Anne mit ihrem Leben inzwischen sehr glücklich war, dass sie den Schmerz über das Scheitern ihrer Jugendliebe überwunden habe.
Wenn er mit seinem Vater am Ende des Tages dann nach Fingal zurückritt, fiel Orlando manchmal auf, dass Martin müde und traurig aussah. Aber wahrscheinlich war sein Vater nur erschöpft nach dem anstrengenden Arbeitstag. Wenn er abends in seinem Lehnstuhl saß und gedankenverloren auf den Fußboden blickte, ließ sich jedoch nicht leugnen, dass sein Gesicht alt und eingefallen wirkte. Gelegentlich beobachtete Orlando, wie er plötzlich zusammenzuckte und den Kopf schüttelte. Aber wenn er sich dann aus seinem Stuhl erhob, straffte er die Schultern, atmete tief ein, streckte die Brust vor und nickte sich selbst aufmunternd zu. Und Orlando versicherte sich, dass sein Vater immer noch ein kräftiger Mann war, der noch viele Jahre bei ihm sein würde.
Normalerweise erledigte Martin Walsh Dubliner Angelegenheiten nicht zu Hause, deshalb überraschte es Orlando, als sein Vater eines Abends auf dem Heimritt zu ihm sagte: »Ich habe heute eine Botschaft von Doktor Pincher erhalten. Er will mich morgen früh in einer privaten Angelegenheit aufsuchen.« Orlando war dem großen, hageren Doktor vom Trinity College nur selten begegnet, aber das Bild des schwarzen Mannes, der die Ebene der Vogelscharen am Abend vor Annes Abreise nach Frankreich überquert hatte, stand ihm immer noch deutlich vor Augen. »Was will er denn von Ihnen?«, fragte er seinen Vater. »Ich weiß es nicht«, antwortete Walsh.
Voller Neugier beobachtete Orlando deshalb am nächsten Morgen den einsamen Reiter, der, dünn und schwarz gekleidet wie eine Schreibfeder, den
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