Die Rebellen von Irland
Womöglich vollführten sie den gerade, er wusste es nicht. Er wusste nur eines: Ruhe würde er heute Nacht nicht mehr finden.
Er versuchte, sich auf die Reise zu konzentrieren, die er am folgenden Morgen antreten würde. Sowohl Trinity College als auch die Christ-Church-Kathedrale besaßen sehr viel Land – auf dem gelegentlich eine gute Pacht verfügbar wurde. Er hatte schon lange auf eine solche Pacht gewartet. Aber die Gelegenheit, die sich ihm jetzt bot, war geradezu ideal.
Richard Boyle, der große Besiedler Irlands, war der reichste und gottesfürchtigste protestantische Grundbesitzer der ganzen Insel. In Königin Elisabeths Regierungszeit waren ihm riesige Landstriche in Munster zugesprochen worden. Unter seinem Schutz standen zahlreiche Pfründe, an denen ein guter protestantischer Prediger etwas verdienen konnte. »Ich habe gerade gehört, dass bald eine Pfründe im Norden von Munster frei wird. Es kann jeden Tag so weit sein. Und Sie sind ein gottesfürchtiger Mann, der Boyles Zustimmung erhalten wird«, hatte ihm der Kapitular erzählt. »Die Gegend ist aber noch nicht urbar gemacht. Sie müssten erst die Wälder roden, bevor Sie dort etwas anpflanzen könnten. Würde Ihnen das etwas ausmachen?«
»Oh nein. Das würde mir überhaupt nichts ausmachen«, erwiderte Pincher.
Waldland. Die riesigen Wälder, die einst den größten Teil der Insel bedeckt hatten, waren jahrhundertelang eine wertvolle Holzquelle gewesen. Das meiste Holz wurde ins Ausland exportiert. Einige der mächtigsten Kathedralen Englands trugen Dachbalken aus irischer Eiche. Und während der Tudorzeit, in der ungeheuer viel gebaut wurde, war der Bedarf stetig weitergestiegen. Nach und nach waren so die Wälder Irlands der Axt zum Opfer gefallen. In der Dubliner Region gab es kaum noch gute Eichen, aber weiter südlich warteten immer noch einige mächtige Wälder darauf, abgeholzt zu werden. Und wer Waldland aberntete, durfte sich auf einen sofortigen, einmaligen Gewinn freuen. So etwas machte eine neue Pacht besonders lukrativ. Manchmal wurden innerhalb weniger Monate ganze Hügel kahl geschlagen.
»Ich werde Licht dorthin tragen, wo bisher nur Dunkelheit herrschte«, hatte Pincher im Brustton der Überzeugung verkündet.
Der Hügelpfad, dem er nach Süden folgte, führte an einigen der schönsten Aussichtspunkte Irlands vorbei. Also hoffte er, sein Ziel binnen weniger Tage geistig erfrischt zu erreichen. Er schloss die Augen und versuchte, sich die Reise vorzustellen. Und obwohl er sich der Musik draußen bewusst war, döste er wohl ein- oder zweimal ein, bevor er um Mitternacht merkte, dass es draußen ruhig geworden war. Jetzt endlich durfte er selig einschlafen.
Tatsächlich glaubte er einen Moment lang zu träumen, als er ein lautes Knarren hörte. Er setzte sich ruckartig im Bett auf und sah, wie sich die schwere Eichentür der Kammer langsam öffnete.
In den unteren Zimmern und der Wohnhalle schliefen so viele Menschen, dass man überall Kerzen aufgestellt hatte. Schließlich sollte niemand, der nachts aufstand, über einen der Schlafenden stolpern. Deshalb sah Pincher jetzt auch im Schein einiger Kerzen die schreckliche Gestalt, die im Türrahmen stand und sich gerade anschickte, sein Zimmer zu betreten. Er trug die Kleidung der wilden Iren, seine Beine waren nackt und um das bleiche Gesicht mit den stechenden Augen fiel ihm ein wilder, hässlicher Haarschopf in Locken bis auf die Schultern. Eine Furcht erregende Erscheinung. Kein Wunder, dass Doktor Pincher krampfhaft die Bettdecke umklammerte und den Mund aufriss, um »Hilfe«, oder »Mord« zu schreien, falls die Kreatur noch einen Schritt weiter in sein Zimmer treten sollte.
Aber Tadgh O’Byrne verharrte im Türrahmen und trat noch nicht ein. Er wollte lieber noch ein bisschen schwankend stehen bleiben, bevor er sich darauf einließ, den nächsten Schritt ins Unbekannte zu wagen. Man konnte nie vorsichtig genug sein. Er war nicht betrunken. Vor kurzem war er das vielleicht noch gewesen, aber jetzt war er in einem Zustand völliger geistiger Klarheit. Allerdings arbeitete sein Verstand etwas langsamer als sonst. Er hatte versucht, auf dem Boden der Wohnhalle neben der Holzbank zu schlafen, auf der seine Frau bereits in tiefe Bewusstlosigkeit versunken war. Aber irgendwie war es ihm nicht gelungen, eine bequeme Lage zu finden. Er hatte überlegt, draußen zu übernachten. Die Nacht war mild, und wie er oft stolz betonte, machte es einem guten Iren wie ihm selbst nichts
Weitere Kostenlose Bücher