Die Rebellen von Irland
aus Mangel an Geld und Interesse zerfielen. Sie war überwiegend eine gesellschaftliche Institution, sie diente einer kleinen, immer schwächer werdenden Minderheit alter Grundbesitzerfamilien und Siedler, die unter Cromwell ins Land gekommen waren. Ohne die protestantische Oberschicht waren die Protestanten eine kleine, zahnlose Minderheit, die nicht ins Gewicht fiel.
Ulster dagegen war eine ganze Provinz, in der die Protestanten die Mehrheit stellten. Und nicht nur die Gentry war protestantisch, sondern auch die Mehrheit der kleinen Bauern, Ladenbesitzer und Facharbeiter. Dazu kam, dass die Presbyterianer, die größte protestantische Gruppe, ihren Glauben sehr ernst nahmen. Während die protestantische Oberschicht in den anderen drei Provinzen Irlands insgeheim von Ängsten oder moralischen Zweifeln in Bezug auf ihre Berechtigung geplagt wurde, kannten die Presbyterianer aus Ulster solche Zweifel nicht. Gott hatte sie nach Ulster geschickt, um dort sein Königreich zu errichten, davon waren sie überzeugt.
Sheridan war schon früher über die Heftigkeit der Reaktion aus Ulster erschrocken. Gerade als man hoffen durfte, die Gesetze zur Unabhängigkeit könnten tatsächlich vom Parlament verabschiedet werden, waren die Protestanten aus Ulster dagegen Sturm gelaufen. Wie ihre schottischen Vorfahren dreihundert Jahre zuvor hatten sie sich zu einem feierlichen Bündnis zusammengeschlossen. Unter Führung von Edward Carson, einem redegewandten Anwalt und Unionisten, und James Craig, einem Millionär aus Belfast, hatten sie im folgenden Jahr eine gewaltige Freiwilligenmiliz aufgestellt. Die Ulster Volunteer Force verfügte zwar nur über Holzflinten, veranstaltete jedoch eindrucksvolle Aufmärsche. Genauso beunruhigend war, dass der Anführer der britischen Tories, der selbst von Protestanten aus Ulster abstammte, die Miliz nicht nur unterstützte, sondern auch noch offen von der Notwendigkeit bewaffneten Widerstands sprach. Die Offiziere der britischen Armee in dem großen Feldlager auf der Curragh-Ebene in der Grafschaft Kildare verkündeten, dass sie, sollte man sie auffordern, die irische Unabhängigkeit gegen die englandtreuen Protestanten aus Ulster durchzusetzen, den Befehl verweigern würden.
»Ich will offen mit Ihnen sein«, hatte ein englischer Journalist, der die Zeitung besuchte, zu Sheridan gesagt. »Die britische Bevölkerung hegt aus zwei Gründen starke Sympathie für Protestanten aus Ulster. Erstens haben wir in England bis heute eine tiefverwurzelte Angst vor dem Katholizismus. Nur wenige Engländer könnten sich damit abfinden, von Katholiken beherrscht zu werden, und wir sehen keinen Grund, warum die Protestanten aus Ulster dieses Schicksal erleiden sollten. Zweitens finden wir, dass die Ulster-Schotten uns ähneln. Sie haben Industrie und Handel, inzwischen auch Werften, und stellen Leinen her. Sie sind fleißig und arbeitsam. Die Iren dagegen sind für uns ein ganz anderer Menschenschlag – ländlich, faul und schlecht organisiert. Wir halten sie geradezu für eine andere Rasse.«
»Aber wussten Sie, dass Schottland von Menschen aus Irland besiedelt wurde? Der Name ›Schotte‹ bezeichnet ursprünglich einen Menschen aus Irland. Man könnte also sagen, die Schotten seien in Wirklichkeit Iren.«
»Ich kann Ihnen versichern, dass die Engländer das nicht wissen. Und Sie können nicht bestreiten, dass die Protestanten aus Ulster ein ganz eigener Menschenschlag sind.«
Im Frühjahr 1914 erhielten die Ulster Volunteers umfangreiche Waffenlieferungen.
Als Antwort darauf bildete sich eine irische Freiwilligenmiliz, die Irish Volunteers. Schon bald wurde bekannt, dass auch sie sich mit Waffen versorgte. Trieb das Land auf einen Bürgerkrieg zu? Sheridan wusste nicht, was passiert wäre, hätte nicht ein größerer Konflikt alles andere überschattet.
In Sarajevo wurde am 28. Juni 1914 der österreichische Thronfolger ermordet, und plötzlich herrschte in ganz Europa Krieg.
Seltsamerweise schöpften viele irische Patrioten nach Ausbruch des Weltkriegs neue Hoffnung. Denn um sich den Rücken freizuhalten, versprach die britische Regierung den Iren die Unabhängigkeit, allerdings erst für die Zeit nach Kriegsende. »Da der Krieg allgemeiner Überzeugung nach höchstens ein paar Monate dauern wird, sind alle bereit zu warten«, sagte Sheridan. Außerdem kam man überein, dass für die Provinz Ulster eine Sonderregelung getroffen werden sollte. Welche Form diese Regelung annehmen würde, blieb
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