Die Rebellen von Irland
lange in Irland.
Den ganzen Nachmittag lang saß er in seinem Sessel und starrte vor sich hin. Am frühen Abend brachte ihm Tidys Frau eine Fleischpastete. Er dankte ihr abwesend, bewegte sich aber nicht. Irgendwann stand er auf, hielt einen Span an das ärmliche Kohlenfeuer im Kamin und entzündete eine kleine Kerze, die er vor sich auf den Tisch stellte.
Und nachdem Doktor Pincher lange und traurig auf die Flamme geblickt und über Walsh, O’Byrne, seine Schwester und seinen frommen Neffen Barnaby nachgedacht hatte, traf er eine Entscheidung, die sein ganzes restliches Leben verändern sollte. Er wusste jetzt, was er zu tun hatte. Aber er musste sich sorgfältig und im Geheimen darauf vorbereiten.
***
Zwei Monate darauf berief Orlando Walsh in Fingal eine Familienkonferenz ein.
Außer seinem Bruder Lawrence und Walter Smith lud er auch noch seinen loyalen Cousin Doyle ein, der zwar dem Namen nach der Kirche von Irland angehörte, aber nicht sonderlich religiös war. Und zur allgemeinen Überraschung bat er auch seinen Freund O’Byrne, an der Versammlung teilzunehmen. »Ich will auch den Standpunkt eines irischen Gentleman hören, und O’Byrne ist absolut vertrauenswürdig«, erklärte Orlando Lawrence. Es gab Wichtiges zu besprechen.
An der Versammlung nahmen nur Männer teil. Orlandos Frau Mary besuchte gerade ihre Mutter, O’Byrne und Lawrence reisten alleine an. Anne begleitete Walter Smith, weil sie so gerne ihr Elternhaus besuchte. »Aber das Reden überlasse ich gern euch Männern«, sagte sie fröhlich zu ihrem Bruder.
An diesem Vorabend des ersten Mai war das Wetter angenehm mild.
Orlando sah zufrieden in die Runde, die sich um den Eichentisch im Wohnzimmer versammelt hatte. Walter Smith, Doyle und O’Byrne waren wie Dubliner Gentlemen gekleidet und trugen Kniehosen und Strümpfe. Er selbst trug schottische Beinkleider. In ländlichen Gegenden, sogar im englischen Fingal, war es nicht ungewöhnlich, dass Gentlemen eine Mischung aus englischen und irischen Kleidungsstücken trugen. Mit einem Lächeln sagte Orlando zu O’Byrne: »Ich sehe irischer aus als du.« Lawrence trug seine übliche schlichte Soutane. Sein Haar ergraute allmählich, was ihn besonders streng und würdevoll wirken ließ.
Seit dem Tod von Martin Walsh hatte Orlando gelernt, seinen Bruder besser zu verstehen und zu respektieren. Nachdem er beschlossen hatte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, begann er seine Ausbildung bei einem Advokaten in Dublin. Er machte schnell große Fortschritte, und nach der Arbeit verbrachte er den Abend oft mit Lawrence im Haus der Jesuiten. So waren die Brüder nach und nach zusammengewachsen; sie waren zwei verschiedene Seiten derselben Münze – der eine ein Geistlicher, der andere ein Grundbesitzer und Advokat, dessen tiefer Glaube sich nur im Privaten äußerte.
Es gab allerdings einen großen Unterschied zwischen ihnen. Lawrence war immer noch der kältere, intellektuellere Bruder. Sein Abscheu vor zweifelhaften Reliquien, heiligen Brunnen und den latenten heidnischen Elementen, die im traditionellen irischen Katholizismus zu finden waren, hätte einem Puritaner alle Ehre gemacht. Orlando hingegen folgte einigen dieser Bräuche, teils aus Respekt vor dem Andenken seines Vaters, teils aus eigenem Antrieb. Als er im vergangenen Winter seinen Freund O’Byrne auf Rathconan besucht hatte, waren sie zusammen nach Glendalough geritten und hatten den ganzen Tag in der uralten Klosteranlage bei den zwei Bergseen verbracht. Über eine Stunde lang hatte er an der winzigen Einsiedlerhütte des heiligen Kevin gebetet. Und einmal im Monat pilgerte er zu Fuß zum Brunnen von Portmarnock. Lawrence war entschlossen, die Heilige Römische Kirche zu reinigen und zu stärken, aber Orlando, der gefühlvoller war, wollte Verlorenes wieder zum Leben erwecken.
Und heute wollte er über das Leben der irischen Katholiken sprechen.
Die irischen Katholiken hatten es als positives Zeichen gewertet, dass der englische König Karl I. vor kurzem eine französische Prinzessin geheiratet hatte. Und in den vergangenen Wochen hatte es sogar noch ermutigendere Neuigkeiten gegeben. Orlando eröffnete die Diskussion mit einer treffenden Zusammenfassung:
»Wir wissen, dass König Karl unbedingt loyale irische Untertanen braucht, auch Katholiken. Seit seiner Eheschließung hoffen wir darauf, dass er sich als unser Freund erweisen wird. Und jetzt scheint er tatsächlich den ersten Schritt zu tun.«
Solche Hinweise
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