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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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ab.
    »Der Mann ist von Sinnen«, antwortete er. Die Lady hatte ihn um geistlichen Beistand ersucht. Ihr Ehemann, der jeden Mann, mit dem sie sprach, für einen Liebhaber hielt, war in seine Wohnung gestürmt, hatte ihn entkleidet und nach draußen gejagt. »Ich überlege mir, ob ich ihn verklagen soll«, sagte er. Er wusste nicht, ob der Portier seine Geschichte glaubte. Wahrscheinlich nicht. Aber er hielt es für das Beste, bei dieser Version der Ereignisse zu bleiben und wiederholte sie noch am selben Abend vor dem Rektor.
    »Diese Schamlosigkeit ist sehr verwerflich«, sagte der Rektor streng.
    »Auch ich halte sie für verwerflich«, stimmte Doktor Pincher zu. »Schließlich war ich das Opfer.«
    »Gut, dass Sie nur wenige Leute gesehen haben. Wollen Sie den Mann gerichtlich belangen?«
    »Ich weiß es noch nicht. Eigentlich kann einem der Mann nur leid tun.« Schlau setzte Pincher hinzu: »Aber meine größte Sorge ist, dass bei einem Verfahren der Name des College vor Gericht beschmutzt würde. Vielleicht wäre es das Beste, ich würde gar nichts unternehmen.«
    »Ah. Das stimmt natürlich«, brummte der Rektor.
    Innerhalb der nächsten Stunde erhielten der Portier und alle Lehrenden die strikte Anweisung, niemandem von dem Zwischenfall zu erzählen. Pincher vermutete, dass auch den Fieldings nicht daran gelegen sein würde, die Angelegenheit an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.
    Aber Gerüchte und Klatsch lassen sich nicht unterdrücken. Ein solcher Ehebruch musste ruchbar werden. Innerhalb weniger Tage hatte die Geschichte sich in den anderen Colleges herumgesprochen, bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Von Orgien, ja sogar heidnischen Riten wurde berichtet, und es wimmelte nur so von nackten Männern und Frauen. Bald merkte Pincher, dass die Leute ihn auf der Straße neugierig anstarrten. Sein Ruf war ruiniert. Eine Lady, an der er vorbeiging, wich sogar ängstlich vor ihm zurück. Seit jenem Tag verzichtete er auf seinen gewohnten Spaziergang und versteckte sich in seiner Wohnung.
    Aber der schlimmste Schlag kam aus einer völlig unerwarteten Richtung. Ein kleiner, spitzgesichtiger Mann, der Pincher an ein Frettchen erinnerte, stellte sich als Advokat von Sir Bertram Fielding vor.
    »Sir Bertram wird ein Verfahren gegen Sie einleiten«, sagte er ruhig. »Seine Frau ist bereit, alles zu bezeugen.«
    »Was zu bezeugen?«
    »Dass sie vergewaltigt wurde.«
    Pincher sah ihn fassungslos an.
    »Vergewaltigt? Von wem?«
    »Von Ihnen natürlich. Sie haben sich ihrer gewaltsam bemächtigt.«
    »So ein Unsinn.«
    »Ihr Wort gegen das der ehrbaren Lady. Es gibt Zeugen dafür, dass Sie nackt geflüchtet sind.« Der Advokat schüttelte den Kopf. »Schlimme Sache. Das wird Sie ruinieren. Dem College gefällt so etwas gar nicht. Ihre Zukunft können Sie vergessen.« Er machte eine Pause und sah den entsetzten Pincher an. »Es gäbe allerdings noch eine Möglichkeit.«
    »Und welche?«
    »Verlassen Sie das College.«
    »Was?«
    »Verlassen Sie Cambridge. Gehen Sie woanders hin. Wenn Sie das machen, wird die Sache wahrscheinlich fallen gelassen. Kein Wort mehr darüber. Alles erledigt. Das wäre eine Möglichkeit.«
    Pincher schwieg. Er dachte an den Brief aus Dublin, den er vor einigen Tagen erhalten und noch nicht beantwortet hatte.
    »Ich muss darüber nachdenken«, antwortete er langsam. »Aber wenn diese Angelegenheit vor Gericht kommt, dann werde ich mich verteidigen und die Lady mit mir ins Verderben nehmen.«
    »Klingt vernünftig. Sie haben einen Monat. Zufrieden?«
    Pincher schrieb noch am selben Tag ans Trinity College.
    Als er seine Schwester vor seiner Abreise besucht hatte, da hatte er ihr alles erzählt, weil er sich wenigstens von ihr ein wenig Mitgefühl erhofft hatte. Sie hatte es ihm verweigert. Auch in den Jahren danach hatte sie ihm kein einziges großmütiges, bedauerndes oder liebevolles Wort mehr geschenkt.
    Und wie sah sein heutiges Leben aus? Was hätte er seinem Neffen bei einem Besuch vorweisen können? Sein bescheidenes Vermögen? Seine Position am Trinity College? Seinen Kampf für den protestantischen Glauben, der in einem Meer unwürdiger Kompromisse zu ertrinken drohte? Wo war das heilige Feuer Gottes? Würde der junge Mann Stolz oder Verachtung für seinen Onkel empfinden? Guter Gott, dachte Doktor Pincher mit plötzlicher Scham, wahrscheinlich Letzteres. Seine Schwester hatte Recht. Er hatte vergessen, wie sein Leben auf einen puritanischen Engländer wirken würde. Er war schon zu

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