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Die Rebellen von Irland

Die Rebellen von Irland

Titel: Die Rebellen von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Lawrence benahm sich ihm gegenüber sogar noch vorsichtiger und diplomatischer, als es sonst die Art des Jesuiten war.
    All das war nur zu verständlich. Sie dachten, er sei ahnungslos. Aber er wusste es. Er hatte es beinahe von Anfang an gewusst. Er erinnerte sich noch genau an den Abend – ihm kam es vor, als sei es vor einer Ewigkeit gewesen –, an dem ihm aufgefallen war, dass seine Frau ihn sehr nachdenklich ansah. Das allein war noch nicht beunruhigend gewesen. Aber irgendetwas hatte nicht gestimmt. Ihr Blick war weder unfreundlich noch kritisch, sie schien ihn nur aus einer großen Distanz zu betrachten. Fragte sie sich, wie er in einer bestimmten Situation reagieren mochte? Beurteilte sie einen Aspekt seines Charakters? Sie sah ihn an, als vergliche sie ihn mit einem anderen. Als wäre sie sich über ihre Gefühle für ihn nicht im Klaren. Er konnte es kaum fassen. Aber auch wenn er ihre Gedanken nicht lesen konnte, las er doch in ihrem Blick, dass sie sich von ihm entfernt hatte. Zwischen ihnen lag eine leidenschaftslose Distanz. Er spürte es, sprach es aber nicht an. Was hätte er auch sagen sollen? Aber in den folgenden Tagen und Wochen beobachtete er sie. Und sah es.
    Der kritische Blick, mit dem sie vor dem Spiegel ihre Figur begutachtete. Seinetwegen tat sie das bestimmt nicht. Der ungeduldige Ausdruck, der über ihr Gesicht huschte, wenn er etwas sagte. Falls sie diese Ungeduld schon immer verspürt hatte, dann hatte sie es jedenfalls nie zuvor gezeigt. Manchmal wirkte sie abwesend, als sei sie weit weg. Gelegentlich strahlte sie, als sei sie neu erblüht, und irgendwann war ihm auch aufgefallen, wie Lawrence und Orlando sich verhielten. Aber noch immer erschien ihm das Ganze kaum vorstellbar. Bis er seiner Frau eines Tages zum westlichen Markt folgte und sah, dass sie in ein Haus ging und nicht wieder herauskam. Noch am selben Abend hatte er herausgefunden, dass O’Byrne dort wohnte. Also war sie bei ihm gewesen.
    Eine Zeit lang weigerte er sich, zu glauben, was er herausgefunden hatte. Seine liebevolle, tugendhafte Ehefrau sollte zu einer solchen Hinterlist fähig sein? Mehrere Tage stand er unter Schock, er war völlig fassungslos. Er musste fürchterlich ausgesehen haben, denn als Anne eines Nachmittags nach Hause kam, sah sie ihn überrascht an und fragte ihn mit einer Mischung aus Besorgnis und Ungeduld: »Ist dir unwohl? Du siehst aus wie ein Gespenst.« Er sagte ihr, er sei nur müde und heuchelte Ärger über einen unwichtigen Zwischenfall bei der Arbeit. Er verbarg seine Gefühle mit großer Sorgfalt. Zu einer Konfrontation war er noch nicht bereit. Stattdessen zwang er sich, die Angelegenheit so nüchtern zu betrachten als möglich.
    Hatte sie vor, mit O’Byrne durchzubrennen? Er glaubte es nicht. Dazu verhielt sie sich viel zu diskret. Niemals würde sie mit einer solchen Tat Schande über sich und ihre Familie bringen – besonders nicht über Maurice, der noch zu Hause lebte. Aber er hätte auch nie im Leben vermutet, dass sie zu dem fähig wäre, was sie bereits getan hatte. Würde die Affäre enden, wenn er sie oder ihren Geliebten zur Rede stellte? Wahrscheinlich schon. Was auch immer seine Frau empfinden mochte, O’Byrne war ein jüngerer Mann, der sich bald eine neue Ehefrau nehmen würde. Für O’Byrne war das Ganze bestimmt nur ein Zeitvertreib, den er beenden konnte. Aber was wäre dann? Er müsste mit einer Frau zusammenleben, die ihn für sein Eingreifen nur verabscheuen konnte.
    Für Walter war die Lage denkbar kompliziert: Er liebte Anne. Aber er vergaß nie, dass sie eigentlich seinen Bruder geliebt hatte, nicht ihn. All die Jahre hatte er versucht, ihr ein guter Ehemann zu sein und ihre Liebe zu gewinnen, und er hatte geglaubt, es sei ihm gelungen. Sie hatte gesagt, er mache sie glücklich. Aber das entsprach offensichtlich nicht der Wahrheit. Er hatte also doch versagt, und sie hatte ihm nur aus Güte verheimlicht, dass sie ihn nicht so liebte wie er sie. Wie unerfüllt sie doch gewesen sein musste.
    Der Fehler lag sicherlich bei ihm. Sie war keine leichtfertige Frau, das stand außer Frage. Sie hatte Moral, sie war ein guter Mensch. Sie war alles, was eine Frau und Mutter sein musste. Er liebte sie leidenschaftlich, aber offenbar liebte sie ihn nicht. Dies schmerzte ihn beinahe unerträglich, aber er durfte mit niemandem darüber sprechen. Aus der Familie seines Vaters hatte er keine Verwandten mehr. Er würde auf keinen Fall seine Kinder ins Vertrauen ziehen und

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