Die Rebellen von Irland
zwar nicht für eine ausreichende Begründung, sagte aber nichts. Außerdem hatte er seinen Sohn sehr hart arbeiten lassen, also war sie angenehm überrascht, als er Maurice gehen ließ. Sie überlegte gemeinsam mit O’Byrne, ob sie Maurice vielleicht für ein paar Tage nach Rathconan begleiten sollte. Aber sie entschied sich dagegen, denn jemand könnte Verdacht schöpfen.
»Ich will nicht, dass Lawrence wieder vor meiner Tür steht«, erklärte sie. Also holte O’Byrne nur Maurice ab und ritt allein mit ihm nach Rathconan. »Ich werde zu Hause bleiben, während er bei mir ist«, sagte er ihr.
Aber eine Woche vor Maurices geplanter Rückkehr erschien einer von O’Byrnes Rinderhirten mit der Nachricht bei den Smiths, dass Maurice sich das Bein gebrochen habe und wahrscheinlich noch länger in Rathconan bleiben müsse.
»Ich sollte wohl zu ihm gehen, Walter«, sagte Anne, und ihr Ehemann widersprach ihr nicht. Sie nahm den Pferdeknecht mit und machte sich mit dem Rinderhirten auf den Weg nach Rathconan.
Bei ihrer Ankunft fand sie ihren Sohn in ausgezeichneter Verfassung vor. Er lag auf einer breiten Bank in der Wohnhalle, und sein Bein war geschient.
»Ich bin auf einem Fels in einem Gebirgsbach ausgerutscht. Ein richtiger Tollpatsch«, sagte er ihr. »Aber es geht mir gut.« O’Byrne beharrte dennoch: »Du musst eine Woche lang still liegen bleiben«, befahl er. »Ich will nicht, dass das Bein schief zusammenwächst.«
Das größte Problem daran war, dass O’Byrnes jüngere Kinder einen Narren an Maurice gefressen hatten und ihn einfach nicht in Ruhe ließen.
Unter vier Augen sagte O’Byrne zu Anne: »Ich glaube, das Bein ist gar nicht gebrochen. Wahrscheinlich hat er es sich nur verstaucht.« Er grinste. »Aber ich dachte, du kommst vielleicht, wenn du dir Sorgen machst.«
Anne schickte den Pferdeknecht zurück nach Dublin, um Walter über die Situation in Kenntnis zu setzen. Sie blieb in Rathconan, und fiel schon bald in einen geregelten Tagesablauf. Tagsüber las sie Maurice vor oder vertrieb ihm sonst irgendwie die Langeweile. Abends spielte O’Byrne dann meistens Schach mit ihm. Maurice schlief in der Küche, wo die Köchin auf ihn aufpassen konnte. Seine Mutter bekam das Gästezimmer, in das sich O’Byrne schlich, wenn alle im Haus schliefen. Als Anne einmal besorgt fragte, ob ihr Liebesspiel zu laut gewesen sei, lachte er leise. »Sei unbesorgt. Durch diese Steinmauern dringt kein Geräusch. Man würde draußen nicht einmal das Gebrüll eines Löwen hören.« Tagsüber ging Anne manchmal nach draußen, um sich die Füße zu vertreten, aber da O’Byrne viel zu tun hatte, sah sie ihn kaum. Am vierten Abend sagte er zu Maurice: »Morgen treiben wir die Rinder in die Berge, Mwirish. Schade, dass du nicht mitkommen kannst.«
»Darf ich vielleicht mitkommen?«, fragte Anne. »Ich wollte schon immer einmal dort oben umherstreifen.«
O’Byrne sah Maurice zweifelnd an.
»Einer muss aber dafür sorgen, dass Mwirish auch schön liegen bleibt.«
Maurice lächelte. Es war offensichtlich, dass er O’Byrne inzwischen als eine Art Lieblingsonkel betrachtete.
»Wenn die Köchin Ihre Kinder von mir fernhält, dann brauchen Sie sich um mich keine Sorgen zu machen«, scherzte er.
Es war also abgemacht. Anne würde mit den Rinderhirten den Tag in den Bergen verbringen.
Am nächsten Morgen war das Wetter angenehm warm, denn es war schon beinahe Mai. Die Rinderhirten trieben die Herde durch Rufe und gelegentliche Stockhiebe die Pfade hinauf, und obwohl sie früh aufgebrochen waren, brauchten sie bis zum Mittag, um die Hochweiden zu erreichen. Aber für Anne hatte sich die Mühe gelohnt. Um sie herum erstreckte sich das riesige, hoch gelegene Tafelland. Der Himmel war blau, der Blick über die ferne Küstenebene atemberaubend. Unter ihnen strömten kleine Gebirgsbäche aus den Pässen auf die reich bewaldeten Abhänge zu.
Nach einer kurzen Rast kehrten einige Rinderhirten um, und O’Byrne fragte Anne, ob sie mit ihnen gehen wolle.
»Ich würde gerne noch ein bisschen hier oben bleiben«, antwortete sie.
O’Byrne kümmerte sich eine Weile um die Rinder. Als er sich davon überzeugt hatte, dass alles in Ordnung war, wandte er sich vor den anwesenden Männern an Anne und sagte beiläufig:
»Der Weg nach Glendalough ist sehr schön. Möchten Sie ein Stück spazieren gehen?«
»Lohnt es sich?«, fragte Anne die Männer.
»Auf jeden Fall. Die Aussicht ist wunderbar. Der Spaziergang lohnt sich wirklich«,
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