Die Rebellen von Irland
dadurch ihre Mutter in den Schmutz ziehen. Niemals. Annes Familie wusste offensichtlich Bescheid. Wollte er den betrogenen Ehemann geben, der greinend zur Familie der Ehefrau flüchtet? Nein, dafür war er viel zu stolz.
Er musste seine Qual und seine Wut allein ertragen.
Denn er war wütend. Wütend wie ein Mann, dem Hörner aufgesetzt werden. Wütend auf seine Frau und O’Byrne. Sogar auf Lawrence und Orlando, weil er sich von ihnen – in gewisser Hinsicht – hintergangen fühlte. Und diese Wut setzte seiner Liebe Grenzen. Die Affäre war noch geheim. Er war sich zwar sicher, dass Annes Brüder davon wussten, aber sie würden die Schande ihrer Schwester bestimmt nicht an die Öffentlichkeit gelangen lassen. Wusste O’Byrnes Familie etwas? Wahrscheinlich nicht, und er vermutete, dass Diskretion auch in O’Byrnes Interesse lag. Aber falls diese Buhlschaft bekannt wurde, falls ganz Dublin und folglich auch seine Kinder davon erfuhren, würde er Anne davonjagen, so sehr er sie auch liebte.
Gab es vielleicht einen Hoffnungsschimmer, falls die Sache geheim blieb? Würde Anne in ihr altes Leben zurückkehren, wenn die Affäre endete? Und sie musste ja irgendwann enden, oder? Was sollte er in diesem Fall tun? War es vielleicht möglich, dass Anne dann Liebe für ihn empfinden würde, oder ihn wenigstens für sein Verhalten achtete? Denn Achtung verdiente er doch bestimmt. Ein einziges aufrichtiges Wort würde ihm bereits genügen.
Es war eigentlich das Los der Ehefrauen, darauf zu warten, dass untreue Ehemänner reumütig in den Schoß der Familie zurückkehrten, aber er hatte auch schon von Fällen gehört, in denen die Rollen vertauscht waren. Also würde er erst einmal zum Wohle der Familie Ahnungslosigkeit vortäuschen. Auch seine ehelichen Beziehungen zu ihr pflegte er weiter, aber auch in dieser Hinsicht hatten sie sich entfremdet. Wenn er abends sagte, er sei müde und wolle sofort schlafen, schien ihr das jedenfalls nichts auszumachen. Sie lebten ihr übliches, ereignisloses Leben weiter. Manchmal bildete er sich, wenn er neben ihr im Bett lag, ein, er könne den anderen Mann auf ihrer Haut oder in ihrem Haar riechen. Dann schloss er schnell die Augen und versuchte zu schlafen.
Es gab noch einen Umstand, der ihn verletzte. Maurice liebte O’Byrne. Walter verstand natürlich, warum der Junge von dem gut aussehenden Iren, der seine grünen Augen hatte, fasziniert war. Aber, so dachte er bitter, sogar mein Sohn zieht O’Byrne vor. Bestimmt hätte er lieber ihn als Vater. Sogar das hat mir O’Byrne genommen. Als er zuließ, dass der Junge den Iren besuchte, war das ein Zeichen dafür, wie vollständig er resigniert hatte. Auch der Junge will mich verlassen, dachte er. Und wie sollte ich es ihm vorwerfen?
Aber als Anne ihm unter einem fadenscheinigen Vorwand in die Berge folgte, konnte er seine Empörung kaum verbergen. Nur das Wissen, dass er sich durch zu heftige Proteste verraten würde, hielt ihn zurück. Aber das war der schlimmste Schlag für ihn. Er würde um der Familie willen schweigen, aber er war sich nach ihrer Abreise nicht sicher, ob er je wieder mit ihr intim werden konnte.
Trotzdem hatte er sich weiterhin durch seinen Alltag geschleppt. Er war seinen Geschäften nachgegangen und hatte abends in seinem Sessel im Wohnzimmer gesessen. Sein Körper hatte sich eine Schutzschicht zugelegt, um ihn gegen die Pfeile des Schmerzes zu schützen. Seiner Frau gegenüber hatte er sich ruhig und freundlich verhalten. Manchmal hatte er sie beobachtet und sich gefragt, ob sie ahnte, dass er Bescheid wusste. Aber das war das Schlimmste daran. Sie merkte es nicht, weil sie es nicht merken wollte. Sie wollte es nicht merken, weil es ihr egal war. Es war ihr egal, weil sie ihn nicht liebte. In diesem Teufelskreis bewegte sich sein Leben.
Nach dem Gespräch mit Orlando kehrte er in ein ruhiges Haus zurück. Die Dienstboten waren in der Küche beschäftigt, weder Anne noch sein Sohn waren zu Hause. Er überlegte, womit er sich beschäftigen konnte und entschied sich, auf den Dachboden zu steigen und die Dokumente der Gilde durchzusehen, die dort in einer Truhe lagerten. Das hatte er sich schon vor langer Zeit vorgenommen, war aber nie dazu gekommen. Er grunzte schwerfällig, als er die Leiter zum geräumigen Dachboden hinaufstieg. Das Dach war von innen mit Brettern verschalt, daher war es dort oben sogar im Winter recht warm und trocken. Er war stolz darauf, dass die Dokumente in seinem Haus aufbewahrt wurden.
Weitere Kostenlose Bücher