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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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wohlbehalten in Manchester angekommen bin.«
    »Gute Idee«, sagte Victor. Plötzlich zuckte er zusammen. »Schau nur, da drüben! Dein Vater!«
    Keine drei Schritte von ihnen entfernt, blickte ihnen Joseph Paxton entgegen. Fast lebensgroß prangte sein Bild in einem Aushang der
Illustrated London News
, mitten auf der Titelseite. »Mensch, hast du mir einen Schreck eingejagt«, sagte Emily. Victor blickte sie an. »Möchtest du den Artikel nicht lesen?«, fragte er.
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, lieber nicht. Oder vielleicht doch – nur ganz kurz«, sagte sie dann und trat an den Schaukasten. Von der Seite beobachtete Victor, wie sie mit gerunzelten Brauen den Bericht über ihren Vater las. »Und – was schreiben sie?«
    »Er hat dem Prinzgemahl Schillingstage vorgeschlagen. Typisch!«
    »Schillingstage? Was ist das?«
    »Eine Senkung der Eintrittspreise, um möglichst viele Leute in die Ausstellung zu locken. Dabei hofft er natürlich, dass die Besucher von auswärts alle mit seinen Zügen nach London reisen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie mich das anwidert!« Mit einem Ruck wandte sie sich von dem Schaukasten ab. »Komm, lesen wir lieber die Anzeigen. Vielleicht ist eine Schiffspassage dabei.« Sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da gab es einen so lauten Knall, als hätte jemand eine Kanone abgefeuert. Der Boden schien für eine Sekunde zu beben, laut schreiend rannten die Menschen durcheinander.
    »Da!«, rief Emily und zeigte auf eine Rauchwolke, die über den Bahngleisen in den Himmel aufstieg.
    »Um Gottes willen!« Victor nahm ihre Hand. »Los, komm mit!«
    Im Laufschritt überquerten sie den Platz und eilten die Böschung hinunter zu den Gleisen. Dort sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Eine Lokomotive war aus den Schienen gesprungen und lag quer auf dem Bahndamm, die schwarze Eisenhaut war aufgeplatzt wie bei einem zerschossenen Tier. »Was ist passiert?«, fragte Victor einen Streckenwärter, als sie an die Unglücksstelle kamen, wo schon Dutzende von Neugierigen standen.
    »Ein Zug der Northwestern Railway«, sagte der Mann. »Ist eben explodiert.«
    »Warum? Gab es einen Anschlag?«
    »Anschlag?« Der Wärter schüttelte den Kopf. »Wie kommen Sie darauf? Nein, der Kessel ist in die Luft geflogen, wahrscheinlich war der Druck zu hoch. Passiert immer wieder mal.«
    »Ist jemand verletzt?«, fragte Emily.
    »Der Zugführer und ein Heizer«, sagte der Streckenwärter. »Da hinten liegen die zwei. Beziehungsweise das, was von ihnen übrig geblieben ist.«
    »O mein Gott …«
    Der Anblick schnürte Victor die Kehle zu. Kaum einen Steinwurf von ihnen entfernt, zwischen zwei Signalmasten, lagen die verstümmelten Leichen.
    »Victor! Was hast du? Ist dir schlecht?«
    Er hörte Emilys Stimme kaum, aus weiter Ferne drang sie an sein Ohr. Er fühlte sich wie in einem Alptraum, den er schon einmal erlebt hatte.
    »Toby …«, flüsterte er, ohne die Augen von den Leichen abwenden zu können.
    »Toby?«, fragte Emily. »Was ist mit Toby?«

10
     
    »Hast du schon den
Chronicle
gelesen?« Sarahs Stimme wurde ganz andächtig, als sie ihrem Mann den Artikel vorlas. »›Der erste Morgen seit der Schöpfung, ein Fest der Völkerfamilie. Aus allen fünf Kontinenten strömten die Menschen herbei, zu einem gemeinsamen Akt des Friedens, der Liebe und der Religion. Hier in London, in der Hauptstadt des britischen Empires, ist die Menschheit vor ihren Schöpfergott hingetreten, um Re- chenschaft abzulegen, wie sie seinen Auftrag erfüllt hat:
Machet euch die Erde untertan

    Joseph Paxton lehnte sich in seinem Sessel zurück und steckte sich zur Feier des Tages eine Zigarre an, während seine Frau die Presseberichte von der Eröffnungszeremonie sortierte, die sich vor ihr auf dem Kamintisch stapelten.
    »Und hör nur, was die
Times
schreibt!«, fuhr sie fort. »›Mathematiker haben nachgewiesen, dass der Kristallpalast beim ersten Windstoß unweigerlich einstürzen würde, und Ingenieure haben ausgerechnet, dass die Galerien unter der Last des Publikums zusammenbrechen müssten. Ärzte haben uns Epidemien und Ökonomen Lebensmittelknappheit vorausgesagt, manche sogar die Pest! Doch was ist passiert? Nicht einmal die berühmten Revolutionäre vom Kontinent haben sich blicken lassen!›«
    »Ja, ja jetzt reißen sie das Maul auf. Dabei hatten sie letzte Woche noch die Hosen gestrichen voll.« Zufrieden paffte Paxton eine kleine Rauchwolke in die Luft. »Aber was schreibt der
Punch?
Der findet

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