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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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das?«, fragte Victor. »So scheußliche Bilder will doch kein Mensch sehen.«
    »Also muss ich es erst recht probieren«, sagte Emily. »Damit die Kuchenesser erfahren, wie die Steckrübenesser leben.«
    »Die Kuchenesser werden sich einen Dreck darum kümmern.«
    »Trotzdem. Du hast mir selbst gesagt, dass Toby oft hier war, wenn er nicht arbeiten musste. Das war seine Welt, und die will ich den Leuten zeigen. Das bin ich ihm schuldig«
    »Schuldig? Warum?«
    Emily blickte von ihrem Zeichenblock auf. »Seit du mir erzählt hast, wie Toby gestorben ist, muss ich immer wieder daran den- ken. Ich habe meinen Vater auf die Idee gebracht, Wachtruppen aufzustellen. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre Toby vielleicht noch am Leben.«
    »Unsinn«, sagte Victor. »Dein Vater hätte seine Leute auch ohne dich bewaffnet. Du hast einfach nur gedacht wie er selbst – wie jeder, der etwas besitzt, was er beschützen will.«
    »Los!«, rief jemand. »Fangt endlich an!«
    Victor trat beiseite, um Emily nicht die Sicht zu versperren. Der junge Arbeiter ging in die Hocke, jede Faser seines Körpers zum Sprung bereit, die Augen auf den knurrenden, Zähne fletschendenHund gerichtet. Da warf der Schiedsrichter ein zappelndes Bündel in den Verschlag – eine fette, quiekende Ratte, die in panischer Angst gegen die Bretterwand raste. Der Terrier stürzte sich auf sie, doch sein Gegner war schneller. Ehe der Hund die Ratte zu fassen bekam, war der Arbeiter am Boden, packte sie mit den Zähnen und biss ihr unter dem Jubel der Männer die Kehle durch.
    Victor sah, wie Emily schluckte, doch sie sagte nichts. Ruhig und konzentriert hielt sie die Szene mit ihrem Zeichenstift fest, wie eine Reporterin. Das hatte sie auch schon nach der Explosion am Bahnhof getan, als könne sie gar nicht anders. War das vielleicht ihre Art, mit solchen Dingen fertig zu werden? Victor wusste es nicht. Selbst als der Rattentöter sein Opfer an die Lippen presste, wie um den Kadaver zu küssen, während rings um ihn die Wettgelder ausgezahlt wurden, zuckte sie nur einmal kurz zusammen. Erst als ihre Zeichnung fertig war und sie den Hinterhof verließen, gab Emily zu erkennen, was in ihrem Innern vor sich ging. »Wie können Menschen nur so etwas tun?«, fragte sie. »Sie … sie verhalten sich wie Tiere.«
    Victor zuckte die Schultern. »Ganz einfach«, sagte er. »Weil sie wie Tiere behandelt werden, ihr Leben lang.«
    Emily hakte sich bei ihm unter, und schweigend gingen sie die Drury Lane entlang, wo es trotz der späten Stunde von Menschen wimmelte, die vor dem Schlafengehen noch etwas erleben wollten.
    Eine halbe Stunde später betraten sie die Redaktion des
Northern Star
in der Fleet Street. In dem kleinen Büro saß nur noch ein einziger Redakteur, Mr. Harper, und schrieb an einem Artikel. Als er Emily erkannte, ging ein Leuchten über sein Gesicht.
    »Miss Paxton«, rief er und kam eilig hinter seinem Schalter hervor. »Was für eine Freude, Sie zu sehen. Ich hoffe, Sie haben uns wieder etwas Schönes mitgebracht!«
    »Etwas Schönes?«
    »Verzeihung, ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich wollte nurfragen, ob Sie neue Bilder haben. Euston Station war ein Volltreffer. Wir haben damit unsere Auflage fast verdoppelt!«
    »Mit einer Zeichnung?«, fragte Victor.
    Der Redakteur warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Das Titelbild ist absolut entscheidend, Sir, keine Schlagzeile kann auch nur annähernd so viel bewirken.« Er wandte sich wieder an Emily. »Jetzt darf ich es Ihnen ja sagen, Miss Paxton, wir haben uns in der Redaktion lange gestritten, ob wir den Kristallpalast oder die Explosion am Bahnhof als Illustration auf den Titel nehmen. Gott sei Dank haben wir uns richtig entschieden. Aber ich sehe, Sie haben einen Zeichenblock dabei. Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter!«
    Emily hatte den Block kaum abgelegt, da begann Mr. Harper schon darin zu blättern. »Ein Rattenkampf«, murmelte er voller Anerkennung. »Wunderbar. Sehr stark im Ausdruck.« Er hob den Kopf und schaute Emily an. »Ich schlage vor, wir setzen einen kleinen Vertrag auf. Der Herausgeber Mr. Jones hat extra wegen Ihnen aus unserer Zentralredaktion in Manchester telegrafiert. Er ist so begeistert, dass er jeden Tag ein Bild von Ihnen im Blatt haben will, und hat mich autorisiert, Ihnen ein Honorar von drei Schilling anzubieten.«
    »Drei Schilling?«, staunte Victor. »Dafür muss ich im Hafen zwei Tage arbeiten.«
    »Drei Schilling«, wiederholte der Redakteur. »Für

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