Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
gefasst und ein bisschen was gespart haben, kaufen wir eine Druckerpresse und machen eine eigene Werkstatt auf. Das war schon immer mein Traum.«
    »Könnte ich dir dabei nicht helfen?«, fragte Emily. »Ich könnte mich ja um die Abrechnungen kümmern.«
    »Wie Mrs. Finch?« Victor schüttelte den Kopf. »Nein, da habe ich eine bessere Idee.« Er drehte sich zu ihr um und nahm ihre Hand. Seine Augen leuchteten so hell, dass Emily es trotz der Dunkelheit sah. »Wir gründen zusammen eine Zeitung«, sagte er dann, »eine Zeitung oder Zeitschrift, irgendwas wie das botanische Magazin, für das du damals die Seerosen gezeichnet hast.«
    »Wir beide zusammen?«
    »Und jeden Tag Griebenschmalz mit Apfelkraut. Versprochen!«
    Emily spürte seine Hand in der ihren, den leichten Druck, die trockene Wärme. »Mein Gott«, flüsterte sie, »wäre das schön. So schön wie früher in Chatsworth, in unserem Paradies.«
    Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, ihm ganz nah zu sein, näher, als sie je einem Menschen gewesen war. Ob sie auf dem Schiff die Möglichkeit hatten zu heiraten? Emily glaubte irgendwo gelesen zu haben, dass Kapitäne das Recht hatten, Paare zu trauen, genauso wie Priester. Am liebsten hätte sie Victor danach gefragt, aber sie hatte nicht den Mut.
    »Ich kann kaum erwarten, dass es losgeht«, sagte sie nur.
    »Ich auch«, sagte er und küsste sie auf die Stirn. »Komm, es ist spät, gehen wir nach Hause.«
    So selbstverständlich, als hätte er es schon hundertmal getan, legte er seinen Arm um ihre Schulter und führte sie von der Brücke. Sie schmiegte sich an ihn, genauso selbstverständlich, wie er seinen Arm um sie gelegt hatte, und schweigend gingen sie auf das Häusergewirr am Ufer zu, von wo ihnen ein feiner säuerlicher Geruch entgegenwehte.
    Auf dem Fischmarkt in Billingsgate schlugen jetzt die ersten Händler ihre Stände auf, und schon bald würden die Bratfischverkäufer in ihren rundherum geknöpften Barchentjacken die Glut in ihren Öfen schüren.

9
     
    »Für dein Seelenheil! Die neue Exhibition-Bibel! Nur zwei Schilling!«
    Auf dem Bahnhofsplatz herrschte ein solcher Betrieb, dass Victor fast über den Bücherstand gestolpert wäre, den ein Bibelverkäufer vor dem Eingangsportal aufgebaut hatte. Emily und er waren gleich nach dem Frühstück nach Euston Station gegangen,um die Reisetasche zu holen, die Emily dort in einem Public House am Vortag abgestellt hatte.
    »Aber deshalb musst du mich doch nicht gleich verstoßen«, lachte sie.
    »Soll nie wieder vorkommen!«, sagte Victor und reichte ihr seinen Arm.
    Er platzte beinahe vor Stolz, als sie sich wieder bei ihm unterhakte, ohne sich von den missbilligenden Blicken, mit denen manche Straßenpassanten sie beäugten, irritieren zu lassen. Was für ein mutiges Mädchen sie war, an seinem Arm durch London zu spazieren, mitten am helllichten Tag! Mrs. Bigelow hatte ein paar Mal mit dem Kopf gewackelt, als Victor ihr Emily am Morgen vorgestellt und erklärt hatte, sie würde nun bei ihm wohnen, doch nach ein paar Worten hatte die Zimmerwirtin Emilys Wange getätschelt und ihm den Schlüssel zum Dachspeicher gegeben, damit er von dort eine zweite Matratze holte.
    Er hatte die ganze Nacht auf dem Boden seiner Kammer verbracht, ohne ein Auge zuzutun, doch nicht, weil die zweite Matratze so hart war, sondern weil er den Geräuschen gelauscht hatte, die Emily im Schlaf verursachte, das Rascheln der Bettdecke, wenn sie sich umdrehte, ab und zu das leise Knarren des Bettgestells, vor allem aber ihre regelmäßigen Atemzüge, die schöner klangen als die Lieder der Negersänger von Clare Market. Sein »Prinz« hatte bis zum Morgengrauen keine Ruhe gefunden, und er hatte seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen müssen, um sich nicht einfach zu ihr zu legen. Wenn sie bereit war, mit ihm nach Amerika auszuwandern, war das nicht so etwas wie eine Verlobung?
    Immer wieder hatte er den Wunsch verspürt, sie aufzuwecken und sie zu fragen, ob sie ihn in Amerika heiraten würde, aber er hatte Angst gehabt, dass sie ihn auslachen oder vor Schreck Reißaus nehmen würde. Nein, so schwer es ihm fiel, sie nicht anzurühren, er würde sich gedulden, bis sie ihm von sich aus ein Zeichen gab.
    »Vielleicht sollte ich einen Brief an meine Eltern schreiben«, sagte Emily.
    »An deine Eltern?«, fragte Victor. »Wozu das denn?«
    »Damit sie sich keine Sorgen machen und sich womöglich bei meiner Tante nach mir erkundigen. Ich könnte ihnen schreiben, dass ich

Weitere Kostenlose Bücher