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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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besorge neuen Fisch, den besten Bratfisch von London, extra für Daisy. Ein Onkel von mir hat einen Stand in Clare Market.«
    »Der kleine Saukerl lügt wie gedruckt!«, rief Mrs. Finch. »Woher soll er einen Onkel haben? Er hat ja nicht mal Eltern!«
    Während Robert den Pressbengel niederdrückte, blickte Victor zu dem Meister hinüber. Mr. Finch hatte Toby bereits losgelassen, aber bei den Worten seiner Frau kamen ihm offenbar erneute Zweifel. Mit einem Gesicht, in dem betrunkene Blödigkeit und dumpfe Brutalität miteinander rangen, schaute er zwischen seiner Frau und dem Lehrling hin und her. Sein Mund klappte auf, klappte zu, klappte wieder auf, als wäre er selber ein gestrandeter Fisch, der auf dem Trockenen zappelte und darauf wartete, gebraten zu werden. Doch bevor ihm ein Satz über die Lippen kam, schloss er ein weiteres Mal den Mund, sein Oberkörper blähte sich auf wie ein Ballon, ebenso sein Gesicht, seine Backen, die Augen quollen aus ihren Höhlen hervor – dann barsten seine zusammengepressten Lippen auseinander, und er erbrach sich in einem Schwall von Branntwein und halb verdauten Speisen.
    »Du widerlicher, ekelhafter …«
    Der Abscheu verschlug Mrs. Finch die Sprache. Mit aufgerissenen Augen starrte sie ihren Mann an, ihr Kopf ruckte in ohnmächtiger Empörung, dann nahm sie Daisy von der Ofenbank und rauschte mit der Katze unter dem Arm hinaus.
    »Ich glaube, ich bringe jetzt mal die Bogen zum Binder«, sagte Toby und wollte sich aus dem Staub machen. Doch er war noch nicht bis zu dem Tisch gelangt, auf dem die in Wachstuch eingeschlagene Kommission bereitlag, da ertönte die Stimme seines Herrn.
    »Halt!«
    Toby erstarrte in der Bewegung. So langsam, als habe er Angst, eine falsche Bewegung zu machen, drehte er sich um.
    »Erst machst du die Schweinerei da weg«, sagte Mr. Finch, plötzlich wieder nüchtern, und wies mit dem Kinn auf die Lache am Boden. Um seinem Befehl Nachdruck zu verleihen, zog er Toby einen Hieb über den Rücken. Mit eingezogenen Schultern griff der Lehrling nach dem Eimer und Lappen unter dem Akzidenzregal.
    »Nicht damit!« Mr. Finch schüttelte den Kopf.
    Toby blickte ihn verständnislos an.
    »Nicht mit dem Lappen! Mit deinem Hemd!«
    »Mit meinem Hemd? Aber Mr. Finch, ich … ich hab doch nur das eine.«
    »Hast du keine Ohren? Tu, was ich dir gesagt habe!« Mr. Finch ließ den Stock aus der Hand fallen, griff nach dem Zurichtmesser, das Victor abgelegt hatte, und machte damit einen Schritt auf den Lehrling zu. Victor unterbrach seine Arbeit.
    »Los, Toby, nimm den Lappen und …«
    »Maul halten!«
    Mr. Finch sprach, ohne den Blick von Toby abzuwenden. Alle Blödigkeit war aus seinem Gesicht gewichen, aus seinen kleinen Augen sprach nur noch gemeine Brutalität. Victor biss sich auf die Lippen. Robert ließ den Pressbengel los und rieb sich mit seiner schwarzen Hand das bärtige Kinn. Jeder in der Werkstatt spürte, dass Mr. Finch es ernst meinte.
    »Ich zähle bis drei. Eins – zwei …«
    Toby stellte den Eimer ab. Sein Gesicht war noch blasser als sonst, sodass die zahllosen Sommersprossen auf seiner weißen Haut wie Windpocken hervortraten und die roten Haare auf seinem Kopf wie Flammen zu lodern schienen. Mit zitternden Händen streifte er die Hosenträger von den Schultern, öffnete die Knöpfe seines löchrigen, verschmierten Hemdes und zog sich den Fetzen über den Kopf. Darunter kam sein magerer, mit Pickeln übersäter Körper zum Vorschein, der in der viel zugroßen Lederschürze regelrecht zu verschwinden schien. Als würde er sich schämen, kratzte er sich mit seinem nackten Fuß am Hosenbein, bevor er das Hemd wie einen Putzlappen in der Hand knüllte und sich langsam bückte, die Augen voller Ekel beim Anblick der Lache am Boden. Mr. Finch hatte zu Mittag Bohnen und Speck gegessen.
    »Wird’s bald?!«
    Vorsichtig lugte Toby zu dem Meister auf, die blauen Augen voller Angst. Dabei wirkte er so winzig klein in seiner Lederschürze, als wäre er keine zehn Jahre alt, obwohl er tatsächlich schon vierzehn oder fünfzehn sein musste – niemand wusste es genau. Victor merkte, dass sich seine Hände zu Fäusten ballten, und steckte sie in die Taschen seiner Arbeitshose. Er hatte schon einmal in so einer Situation die Beherrschung verloren und mit fast zwei Jahren Gefängnis dafür bezahlt. Damals war er betrunken gewesen. Jetzt war er nüchtern.
    »Los!«, rülpste Mr. Finch. »Worauf wartest du noch?«
    Aufrecht stand der Meister da, ohne zu

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