Die Rebellin
das Unternehmen zur Hebung seines Ansehens in der Öffentlichkeit bot – in neun Jahren Ehe mit der Queen war es ihm nicht gelungen, die Herzen der Engländer zu erobern. Doch ebenso sicher sah er andererseits auch die Gefahr, die darin lag, sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen, deren Erfolg noch in den Sternen stand. Cole entschloss sich deshalb, ein allerletztes Argument in Anschlag zu bringen.
»Sie haben soeben selbst gesagt, worum es geht, Königliche Hoheit: Die Weltausstellung wird ein moderner Garten Eden sein,das Paradies auf Erden. Darum wage ich zu prophezeien, wer immer dem englischen Volk ein solches Geschenk macht, den wird es dafür ewig lieben und verehren.«
Mit kaum sichtbarem Lächeln hob Albert den Kopf, und ein zartes Rosa legte sich für eine Sekunde auf seinen hellen, makellosen Teint. Dann strafften sich seine Züge, er strich sich über die Enden seines Bartes und erhob sich von seinem Stuhl.
»Bis auf weiteres, meine Herren, bitte ich Sie, unsere heutige Besprechung geheim zu halten. Auch untersage ich Ihnen, Mr. Cole, meinen Namen mit dem Projekt in eine wie auch immer geartete Verbindung zu bringen. Doch gestehe ich Ihnen gerne zu, dass mich der Gedanke reizt. Hier könnte wahrhaft Großes entstehen, wahrhaft Großes, allerdings. Ein Pantheon der Zivilisation, ein Kulturmuseum des Fortschritts, in dem sich die Menschheit die Welt nach ihrem eigenen Bilde schafft. Sehr reizvoll, überaus reizvoll sogar, durchaus, in der Tat.« Er legte seinen Füllfederhalter auf den Tisch, faltete seine Hände vor der Brust und blickte in die Runde. »Ich denke, dann sind wir uns also einig, meine Herren, nicht wahr?«
4
Victor nahm das Zurichtmesser und korrigierte eine letzte Unebenheit im Klischee, um einen zu scharfen Druck auf der Stelle zu vermeiden. Eine vollkommen ebene Druckfläche war die wichtigste Vorbedingung für das Gelingen des Abzugs, vor allem beim Illustrationsdruck, wo Licht und Schatten ständig abwechselten und oft dicht nebeneinander lagen. Während er noch einmal die Vorlage überprüfte, wartete Robert, der kleine, magere, schwarzhaarige Altgeselle, schon an der Presse auf ihn, um mit dem Druck des Bogens zu beginnen.
»Es hat so gut gerochen, und mir knurrte der Magen!«
»Der Magen? Der Arsch soll dir davon knurren!«
Victor tat so, als würde er nichts hören, und fuhr einfach damit fort, das Klischee auf der Walze einzuschwärzen. Wenn es Ärger gab, war es immer besser, sich rauszuhalten. Mr. Finch war vor ein paar Minuten aus dem Branntweinladen zurückgekehrt, aus dem ihn seine Ehefrau geholt hatte, damit er Toby, den Lehrjungen, verprügelte. Doch der Meister war so betrunken, dass er es kaum schaffte, sich auf den Beinen zu halten, als er nach dem Rohrstock griff.
»Er hat sich damit voll gefressen!«, keifte Mrs. Finch. »Ich hab es selbst gesehen!«
Victor beugte sich noch tiefer über die Arbeit, damit niemand sein Grinsen sah. Toby hatte ihrer Lieblingskatze Daisy den Bratfisch aus dem Napf geklaut und samt Kiemen und Gräten verschlungen. Kein Wunder, der Lehrling bekam zweimal am Tag einen ungenießbaren Fraß vorgesetzt, Küchenabfälle, die niemand sonst im Haus anrührte. Trotzdem hätte Toby besser die Finger von dem Fisch gelassen – Mrs. Finch war so vernarrt in ihre Katze, die zufrieden schnurrend von der Ofenbank aus seiner Bestrafung entgegensah, dass sie sie nicht nur mit Bratfisch fütterte, sondern sie sogar von einem Kunstmaler in Öl hatte porträtieren lassen. Daisys Konterfei prangte wie das Bildnis einer Königin über dem Eingang der Werkstatt.
»Du verdammter Verbrecher«, lallte Mr. Finch und packte den Lehrling im Nacken. »Dir werd ich’s zeigen!«
Als Toby zum ersten Mal aufschrie, spürte Victor, wie die Wut in ihm hochkam. Doch er beherrschte sich. Mr. Finch war zwar auf ihn angewiesen, trotzdem konnte er ihn jederzeit rausschmeißen. Victor hatte sich deshalb geschworen, ihm keinen Vorwand dafür zu liefern, bevor er nicht die hundert Pfund beisammenhatte, die er für O’Connorville brauchte. Also spannte er einen frischen Bogen in den Rahmen der Druckpresse und nickte Robert zu, dessen Aufgabe es war, den Pressbengel zubetätigen, während er selbst die Form vor- und zurückschob. So eine Tracht Prügel war schließlich nichts Besonderes – seit es Lehrlinge und Meister gab, war es das Schicksal der Lehrlinge, von den Meistern schikaniert zu werden.
»Bitte, Mr. Finch!”, flehte Toby. »Hören Sie auf! Ich
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