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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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geworfen hätte, würde er diese Nacht im Gefängnis verbringen – diese Nacht und noch viele andere Nächte. Plötzlich schämte er sich so sehr, dass seine Wut von einer Sekunde zur anderen verrauchte.
    »Wie wär’s?«, fragte er. »Hast du Lust auf ein Stück Bratfisch?« Toby schüttelte stumm den Kopf.
    »Komm schon. Ich lade dich ein.«
    »Hab keinen Hunger«, sagte Toby, ohne auch nur einen Blick auf den Grill zu werfen, auf dem der Fisch brutzelnd seinen Duft verströmte.
    »Willst du vielleicht lieber einen Priem Kautabak?«
    »Davon kriegt man nur braune Zähne.«
    »Oder ein Glas Whisky? Ich glaube, das hast du dir heute verdient. Da hinten ist ein Pub.«
    Toby gab nicht mal eine Antwort. Victor bildete sich ein, den Jungen wie einen Bruder zu kennen, doch das hatte er noch nicht erlebt. Wenn Toby weder Bratfisch noch Kautabak noch Whisky wollte, war er entweder krank oder vollkommen verzweifelt. Auf jeden Fall musste seine Enttäuschung noch größer sein, als Victor gedacht hatte.
    »Wer weiß«, sagte er, um ihn zu trösten, »vielleicht ist es ja sogar gut, dass der ganze Schwindel aufgeflogen ist. Besser jetzt als zu spät.«
    »Was soll daran gut sein?«, fragte Toby. »Unser ganzes Geld ist zum Teufel, siebenunddreißig Pfund. Jetzt können wir für immer bei Mr. Finch bleiben. Bis wir verrecken.«
    »Nein«, sagte Victor. »Das werden wir nicht. Ehrenwort!«
    »Und was tun wir dann? Uns bleibt doch nichts anderes übrig.«
    »Das weiß ich jetzt auch noch nicht«, erwiderte Victor. »Aber glaub mir, uns wird noch was einfallen.«
    Toby zog die Nase hoch und schaute ihn an, leise Hoffnung in den tränennassen Augen.
    »Meinst du das wirklich, oder sagst du das nur so?«

5
     
    Emily trat hinaus in den Park. Die Nacht war so klar, dass sie die Landschaft wie am hellen Tag erkennen konnte. Der Rasen vor dem Gewächshaus schien im Licht des Mondes gelb wie Butter, ein sanftes, leicht gewelltes Meer, das in der Ferne von einer Reihe Ulmen begrenzt wurde, die ihre Kronen lautlos im Nachtwind wiegten. Die hohen, mächtigen Bäume waren ihr als Kind immer wie freundliche Riesen erschienen, die sie im Schlaf beschützten. An diesem Abend aber erschienen sie ihr wie dunkle, bedrohliche Ungeheuer.
    »Und was wollen Sie jetzt tun, Mr. Cole?«
    Emily blieb stehen, um auf ihren Verlobten zu warten, der ihr hinausgefolgt war, um mit ihr ein paar Schritte durch den Park zu gehen.
    »Ich werde alle meine Ämter und Aufgaben in der Königlichen Kommission niederlegen, um mich künftig wieder ganz meiner Funktion als Beamter im Staatsarchiv zu widmen.«
    »Das kann und will ich nicht glauben«, protestierte Emily. »Haben Sie etwa vergessen, was Sie bei unserer ersten Begegnung sagten? Die Weltausstellung ist Ihr Lebenstraum! Wenn Sie den aufgeben, verliert Ihr Leben seinen Sinn.«
    »Habe ich das wirklich gesagt? Nun, mag sein, aber die Dinge haben sich verändert.«
    Emily sah im Mondlicht sein Gesicht. Alle Zuversicht, seinganzes wunderbares Selbstvertrauen waren daraus verschwunden. »Ich habe gekämpft«, sagte er leise, »das müssen Sie mir glauben, aber ich habe keine Chance mehr.«
    »Unsinn, Henry. Es gibt immer eine Chance! Das ist ein Naturgesetz.«
    Überrascht hob er den Blick. »Das ist das erste Mal, dass Sie meinen Vornamen sagen. Wie sehnlich hatte ich mir gewünscht, dass Sie das einmal tun.«
    Er versuchte zu lächeln, doch sah er dabei so traurig aus, dass sie seine Hand nahm.
    »Wenn Sie wollen, dass es nicht auch das letzte Mal ist, müssen Sie mir versprechen, weiter zu kämpfen, Mr. Cole. Außerdem«, fügte sie hinzu, bevor er etwas einwenden konnte, »ist meine Mutter gerade in London damit beschäftigt, ein Damenkomitee zu gründen, um Sie und Ihre Arbeit zu unterstützen. Wenn Sie jetzt die Flinte ins Korn werfen, wird sie Ihnen das nie verzeihen. Sie wird Ihnen beim nächsten Wiedersehen den Handkuss verweigern.«
    »Welche Veranlassung sollte Ihre Mutter haben, mich weiter zu empfangen, Miss Paxton? Ich fürchte, Sie haben noch nicht begriffen, in welcher Situation ich mich Ihnen und Ihrer Familie gegenüber befinde.«
    »Sie nennen mich Miss Paxton? Offenbar legen Sie heute alles darauf an, mich zu ärgern!« Er wollte ihr seine Hand entziehen, doch sie hielt sie mit der Linken fest und legte die Rechte auf seinen Handrücken, genau wie ihre Mutter es bei ihrem Vater tat, wenn er Sorgen hatte. »Mr. Cole«, sagte sie dann. »Sie sind Seele und Motor des Unternehmens. Die

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