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Die Rebellin

Die Rebellin

Titel: Die Rebellin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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Armen wie ein Mondsüchtiger auf Ernest Jones zuging.
    »Er will abhauen!«
    »Haltet ihn!«
    »Lasst ihn nicht raus!«
    Fünf, sechs Männer sprangen gleichzeitig auf die Tribüne und warfen sich auf O’Connor, der Ernest Jones wie ein Kind an sich drückte und auf die Stirn küsste. Voller Entsetzen sah Toby, wie die Männer O’Connor an den Armen packten und vom Podium zerrten.
    Da gellte ein Pfiff, der allen Lärm übertönte, und im nächstenMoment brachen uniformierte Konstabler hervor, um O’Connor vor den Angriffen seiner Anhänger zu beschützen.
    Toby verstand die Welt nicht mehr: Die Polizei und Feargus O’Connor?
    Da sah er Victor vor sich in der Menge, nur eine Armlänge entfernt. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt, er hatte die Zähne gefletscht wie ein Pitbull, und seine Augen sprühten schwarze Funken, während er mit einer Bierflasche ausholte, um einen Polizisten niederzuschlagen, der die Arme schützend vor O’Connor hielt.
    »Nein, Victor! Nicht!«
    Ohne zu wissen, was er tat, stürzte Toby sich auf ihn. Victor zögerte eine Sekunde, die Flasche über dem Kopf, dann fuhr sein Arm herab. Toby spürte den harten, schweren Schlag, wie er seine Schläfe streifte und dann mit voller Wucht auf seiner Schulter landete. Er taumelte, griff in die Luft, verlor das Gleichgewicht, sah im Niedersinken die kleinen weißen Kreidestückchen auf dem Boden, die falschen Pfefferminzbonbons, zertrampelt von den fliehenden Menschen …

3
     
    Es war Feierabend in Chatsworth. Während die Handwerker ihre Werkzeuge versorgten und die Baustelle verließen, kletterte Emily noch einmal auf die Leiter hinauf, um von der Höhe des Daches aus die Arbeiten zu inspizieren. Das neue, sechzig Fuß lange und siebenundvierzig Fuß breite Gewächshaus, das seit nunmehr drei Montaten in den Küchengärten des herzoglichen Parks aus dem Boden wuchs, stand vor seiner Vollendung. Emily konnte den Einfallsreichtum ihres Vaters nur bewundern. Er hatte ein Warmhaus geschaffen, zu dem die Natur selbst denEntwurf geliefert zu haben schien. Die Blätter derselben Seerosen, die hier einmal Aufnahme finden sollten, hatte er zum Vorbild für die gesamte Konstruktion genommen, eine Struktur aus Glas und Stahl, die dem Äderwerk der Pflanzen systematisch nachgebildet war, bis ins Detail. Die Fundamente waren nicht nur Fundamente, sondern zugleich Abflussleitungen, die Wände nicht nur Wände, sondern zugleich Belüftungsanlagen. Die abwechselnd geneigten Glasflächen des gefalteten Daches sorgten für den nötigen Lichteinfall, und die Kehlen der Rinnen im Stahlskelett waren so ausgebildet, dass sich in ihnen sowohl das Regenwasser von außen als auch das innen an den Scheiben ablaufende Kondenswasser auffangen ließ, während im Boden verlegte Heizrohre eine stets gleichmäßige Wärme garantierten und das Wasser in dem riesigen Hauptbecken von vier Schaufelrädern fortwährend in sanfter Bewegung gehalten wurde. Auf diese Weise hatte Paxton mit den Mitteln der Ingenieurskunst Verhältnisse geschaffen, die für das Wachstum und die Vermehrung der
Victoria regia
noch vollkommener schienen als diejenigen in ihrer natürlichen Heimat am Amazonas.
    Emily überprüfte noch einmal den Mechanismus eines Dachfensters, das sich nicht ordentlich schließen ließ, und machte sich eine Notiz, damit sich am Montag ein Glaser darum kümmerte. Seit einer Woche schon vertrat sie auf der Baustelle ihren Vater, der in London eine Wachtruppe zusammenstellte, um die Züge der Midland Railway vor weiteren Anschlägen zu schützen. Sarah hatte ihn in die Hauptstadt begleitet, um dort ein Damenkomitee zu gründen, zur Unterstützung der Weltausstellung, vor allem aber zur Unterstützung ihres künftigen Schwiegersohns Henry Cole. Emily war begeistert von der Idee. Sie hätte nicht gedacht, dass sie sich mit ihrer Mutter je so gut verstehen würde – keine Spur mehr von der alten Rivalität, die früher so oft zwischen ihnen geherrscht hatte. Sogar ein Brautkleid hatten sie bereits zusammen gekauft, ein Geheimnis, von dem weder ihr Verlobter noch ihr Vater wussten. Schade fandEmily nur, dass sie die Verlobung nicht publik machen durfte. Ihr Verlobter und ihre Eltern hatten vereinbart, die Verbindung bis zur Festlegung des Hochzeitstermins geheim zu halten. Die Gründe dafür hatte Emily bis heute nicht begriffen.
    »Ein Mr. Cole will Sie sprechen, Miss Paxton.«
    Emily stieg überrascht von der Leiter, als ein Arbeiter ihr den Besuch meldete. Ihr Verlobter –

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