Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
Amalyse kehrte brav an ihren Platz zurück und kreiste und wogte um den festen Arm, an den sie sich klammerte.
Andin wandte sich wieder seinen Gefährten zu, die sich nicht gerührt hatten. Ihre Angst war verflogen: Ceban und Erwan standen mit vor Erstaunen aufgerissenem Mund da und Imma versuchte immer noch verzweifelt, mithilfe ihrer Ohren zu verstehen, was vorging.
»Wollt ihr noch lange Maulaffen feilhalten, oder machen wir uns alle auf die Suche nach den Opalinen?«, fragte Andin.
Ceban und Erwan lösten sich rasch aus ihrem seligen Staunen und zogen Imma mit. Die drei Männer setzten ihre Suche in den Höhlen des Etelbergs unter der Leitung der Blinden fort.
Nun waren keine Schreie mehr zu hören. Sie wussten noch nicht einmal, dass hier je welche ertönt waren. Lediglich ihre Schritte durchbrachen die Stille. Die vier Freunde wateten durch eisiges Wasser, glitten auf feuchten Felsen aus, schlüpften zwischen Stalaktiten und Stalagmiten hindurch und hatten den Eindruck, ins stinkende Maul eines Ungeheuers vorzudringen.
Vergängliche und doch unsterbliche Wesen
»Die Königin hat meiner Mutter diese Geschichte erzählt«, erläuterte Imma.
»Willst du damit sagen, dass du keine Beweise hast?«, fragte Ceban.
»Der König und die Königin flohen oft durch einen unterirdischen Gang vom Hof, um ohne Wachen in die Stadt Etel gelangen zu können. Das war dem Volk wohlbekannt. Und wenn wir bis jetzt alles so vorgefunden haben, wie die Königin es einst meiner Mutter beschrieben hat, dann kann auch der Rest keine Lüge sein. Da die Worte von Ihrer verstorbenen Majestät stammen, genügen sie mir«, antwortete die Hexe trocken.
Andin hatte schon einen der funkelnden Fäden ergriffen, die auf den Felsvorsprüngen lagen. In seiner Hand ruhte seine gesamte Hoffnung: Er war bereit, an alles Mögliche zu glauben, wenn es ihm nur half, Elea wiederzufinden.
»Fahr fort, Imma, sag mir, wie diese Seidenfäden schlafende Sylphen sein können! Sag mir, wie man sie weckt. Wie können sie uns helfen?«
»Nimm einen der Fäden in die Hand, Andin.«
»Schon geschehen«, antwortete er hoffnungsvoll.
»Gut, nun lass einen Wassertropfen auf den Faden fallen, und puste mit aller Kraft. Dann wird eine Opaline erscheinen.«
Andin reckte sich nach einem Stalaktiten. Alle Wände dieser Grotte waren mit kleinen Fädchen übersät– kleinen Träumen. Der junge Mann ließ einen Tropfen in seine Hand fallen. Mit klopfendem Herzen in der Brust pustete er sanft. Der Faden regte sich im Luftstrom und schien sich aufzurollen. Dann formte sich eine kleine, leuchtende Kugel, aus der eine winzige Spirale nach oben ragte. Bei der dritten Umdrehung gab es etwas wie einen Blitz.
Imma spürte die Stille, die Wärme, das Erstaunen. Sie stand zugleich mit den anderen auf und trat auf Andin zu.
»Beschreib sie mir, ich flehe dich an!«, sagte sie und ergriff seinen Arm.
Aber Andin war noch ganz bezaubert von dem, was er vor sich hatte. Er schwieg erst einmal.
»Sie ist schön, Imma«, sagte er dann, ohne sofort andere Worte zu finden. »Sie ist so, wie man sich die Feen vorstellt.«
Andin lächelte. Die Opaline war von menschlicher Gestalt, aber nicht über vier Zoll groß. Ihr kleiner Körper stand auf den Zehenspitzen und war zierlich und länglich; er war zwar geschlechtslos, aber die Opaline hatte doch eine leicht weibliche Gestalt. Sie wirkte milchig und bläulich, wie ein Opal. Ihre Flügel, die wie weiße Blütenblätter in Zweiergruppen aussahen, waren nicht fest mit ihrem Rücken verbunden, sondern schwebten ebenso in der Luft wie die Opaline über Andins Hand.
Ihre Nase war trompetenförmig; sie hatte keinen Mund. Die Augen waren riesengroß, mit weit nach hinten gezogenen äußeren Winkeln. Als ihre Lider sich hoben, verschlug es Andin die Sprache.
»Wie sind ihre Augen?«, fragte die blinde Hexe neugierig.
»Sie hat keine«, stammelte Erwan. »Ihr Blick ist durchscheinend, sie hat keine Iris, keine Pupille– man könnte sagen, dass er alles Licht ihres Körpers widerspiegelt.«
»Ihre Augenlider sind zart und haben jeweils nur eine Wimper«, setzte Ceban gebannt hinzu.
Abgesehen davon wies der Körper kein einziges Haar auf. Die Opaline hatte keinen Schopf, sondern nur ein kleines Käppchen, das mit dem Scheitelpunkt ihres Schädels verwachsen war. Darüber waren drei Heiligenscheine der Größe nach geordnet. Aus dem letzten ragte ein Fädchen hervor.
»Das ist ihr Lebensfaden, der abläuft«, erkläre Imma auf Cebans
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