Die Rebellin von Leiland 3: Die Gefangene des Tyrannen (German Edition)
Saugnäpfe klammerten sich an das zerbrechliche Boot, um es zum Kentern zu bringen, wurden aber rasch abgeschnitten. Die vier, die sich freiwillig zu diesem Abenteuer gemeldet hatten, blieben im Gleichgewicht.
Sie warfen eine fünfte Kugel mit dem Elixier in den Burggraben, damit sie an der Böschung anlegen konnten, auf der die zweite Umfassungsmauer aufragte. An ihrem Fuße verbarg Efeu den Eingang zu den unterirdischen Höhlen. Joran konnte nicht weiter vordringen. Er verwandelte sich in das Chimärenwesen. Eine Hand gegen eine undurchdringliche Wand vor sich gestützt und die Krallen ins Holz des Boots gegraben, wusste er nicht, was er sagen sollte.
»Wir holen sie zurück, Joran«, versicherte Ceban ihm.
»Ich warte hier meine ganze Ewigkeit auf euch.«
Er streckte Imma die Hand hin und umfasste ihre Finger.
»Wenn Ihr nicht zurückkehrt, werden viele Dinge für mich keinerlei Bedeutung mehr haben«, erklärte er der blinden Hexe. »Ich lege Wert darauf, Euch zu danken… Dafür, dass Ihr nie Angst vor mir hattet.«
Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken; die Stimme versagte ihm. Imma konnte die Wahrheit nur von ihm erfahren. Durch ihre Hände musste die Hexe nun von allem wissen: von seiner Vergangenheit, seinen Verbrechen, seiner Abscheulichkeit. Aber er hoffte, dass sie auch seine Liebe zu ihr sehen konnte. Er bot Imma die Wahrheit dar, nach der sie immer verlangt hatte, auf die Gefahr hin, von nun an auf ewig von ihr gehasst zu werden. Allein, um ihre Finger berühren zu können, und sei es auch nur ein einziges Mal.
Entsetzt über sich selbst ließ er ihre Hand los. Flügel wuchsen ihm aus dem Rücken; er nahm die Krallen vom Boot und flog davon. Der Nachen glitt still auf dem Wasser in die dunkle Höhle hinein.
»Ich habe nichts gesehen«, murmelte Imma mit völligem Unverständnis in der Stimme. »Ich habe nichts gesehen. Wie schon beim letzten Mal.«
Joran war ein Tier, sie konnte nichts über ihn erfahren, wenn sie ihn berührte. Aber wie hätte sie das wissen können? Ihre Gefährten waren zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um sich um Imma zu kümmern. Die Sanftheit eines ersten Kusses verlieh einem von ihnen die Zuversicht, weiter vorzudringen; das Bild goldener Locken, die sich im Wind leicht an den Sträuchern verfingen, und das Lächeln eines seltsamen kleinen Mädchens ließen die anderen wünschen, lebendig zurückzukehren.
Andin zündete eine Fackel an, und Ceban zog das Boot mithilfe eines Ruders zur ersten Uferböschung, die sich einige Klafter vom Eingang weit entfernt befand. Erwan sprang an Land. Er vertäute das Seil und half Imma, die noch immer mit Zweifeln kämpfte, aus dem Boot zu steigen. Andin folgte ihnen.
Der junge Mann nahm sofort die ekelerregende Ausdünstung wahr, die ihn seit den Höllischen Nebeln immer wieder verfolgt hatte. Sie war beinahe jedes Mal aufgetreten, wenn ein gefährliches Geschöpf seinen Weg gekreuzt hatte. Er begriff, dass er gegen den Willen Ibbaks und nicht etwa gegen den der Feen angekämpft hatte, als er die Grenze nach Leiland überschritten hatte. Seine Besorgnis wuchs, als seine Gefährten ihm sagten, dass sie allenfalls einen säuerlichen Geruch nach Feuchtigkeit und Nässe wahrnahmen.
Ceban warf ihm die Bogen, die Pfeile und zwei weitere Fackeln zu. Er wollte Andin gerade auch noch eine Decke und Seile reichen, als ein Sarikeltentakel, dem es trotz seiner Abneigung gegen das Elixier gelungen war, sich an der Wand voranzutasten, das Boot erreichte. Ceban hatte keine Zeit mehr aufzuschreien: Er stürzte schon ins Wasser.
Reflexartig sprang Andin auf das gekenterte Boot, um ihn am Handgelenk zu packen. Die Sarikel hatte Cebans Stiefel gepackt und versuchte, ihn zum Grund des Gewässers zu ziehen. Cebans Hand schloss sich um den rettenden Arm, während sein Kopf schon in den Fluten verschwand. Andin hielt fest, aber die Sarikel war so stark, das sie das Boot selbst mitzog: Es sank ebenfalls unter Wasser. Der Tentakel war außer Reichweite für eine Schwertklinge. Erwan zerbrach sofort eine der Elixierkugeln wie eine Eierschale über dem Wasser.
Die Sarikel ließ plötzlich los: Ceban schoss wie ein Pfeil aus dem Wasser hervor und zögerte nicht, sofort neben Andin aufs Boot zu klettern. Noch atemlos erschauerte er vor Entsetzen, als die Sarikel dumpf aufbrüllte. Dieser Schrei war weit eisiger als das Wasser, in das Ceban eben gefallen war. Eine Welle baute sich auf, ein Geräusch– dann herrschte wieder reglose
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