Die Rebellin
aus, berührte seine Stirn und versuchte die Falten zu glätten. Er blieb still stehen.
»Komm mit«, sagte sie nur.
Er ging nie wieder weg.
Das Bürgermeisteramt trat er an einen Cousin ab, der praktischerweise den gleichen Namen trug.
»Dann brauchen sich die Leute gar nicht erst umzustellen«, meinte er, als er eines Abends aus Parikia zu ihrem Häuschen zurückgekehrt war. »Wir haben Post von Lambrini.«
»Nichts von König Otto?«, fragte sie spitz.
Seit Jahren war nämlich die finanzielle Unterstützung der Regierung wieder ausgeblieben und so hatte sie sich auf Kolokotronis' brieflichen Rat vor einigen Monaten an den Monarchen höchstpersönlich gewandt.
Sie schrieb: »Ich war nie verheiratet, bin also keine Witwe, die Anspruch auf Rente hat. Ich habe als Generalleutnant an Schlachten teilgenommen, bin aber nicht verwundet worden und habe somit keinen Anspruch auf Invalidenrente. Ich habe aber als Offizier, Organisator und Geldeinsammler meinem Land gedient. Daher würde ich es zu schätzen wissen, wenn ich für meinen Einsatz eine Militärpension erhielte und mir eine Medaille zugesprochen würde, Mando Mavrojenous.«
»Muss die Medaille sein?«, hatte Marcus gefragt, aber sie bestand darauf.
»Es wäre doch schön, einen kleinen Gegenstand zu haben, der mich daran erinnert, wo mein Geld, mein Land, mein Schmuck und der Rest meiner Habe geblieben sind! Marcus, ich bestehe auf einer Anerkennung!«
Einen Augenblick lang sah sie fast wieder aus wie die Mando, die er früher nicht hatte leiden können.
Der Eingang ihres Schreibens wurde von der Regierung mit deutscher Gründlichkeit vermerkt und der Brief zu den Akten gelegt. Als Mando immer wütender wurde, dass keine Antwort eintraf, versuchte Marcus sie zu beruhigen: »Du weißt doch, was der österreichische Botschafter Anton Prokesch von Osten über Griechenland gesagt hat?«
»Dass Regierung und Regierte zwei Menschen sind, die einander nicht vorgestellt wurden«, nickte Mando grimmig. »Die Regierung hat offensichtlich auch kein Interesse daran – ich bin damals bei Otto ja auch nicht vorgelassen worden! Aber ich will endlich meine Anerkennung!«
Es war der Sommer des Jahres 1840 und Marcus und Mando taten bereits seit anderthalb Jahren, was Pappas Mavros einst befürchtet hatte: Sie lebten wie Mann und Frau zusammen. Allerdings nicht in Paris, sondern auf Paros. In Paris lebte ihre Tochter, die über die Identität ihrer wirklichen Eltern natürlich nie aufgeklärt worden war. Sie hatte gebeten in diesem Jahr die Sommerferien bei einer Schulfreundin in Südengland verbringen zu dürfen.
»Wenigstens sieht sie mehr von der Welt als ich«, meinte Mando.
Marcus bot ihr, wie schon so oft, wieder an, endlich mit ihm nach Paris zu reisen, aber sie lehnte ab.
»Dafür bin ich jetzt zu alt. Marcus …«
»Aphrodite ist nicht alt«, sagte er und umfasste die Brüste, die er noch genauso göttlich fand wie vor mehr als zwanzig Jahren, »was ist?«
»Eine kleine Reise würde ich gern machen.«
»Nach Kalo Livadi?«
Natürlich hatte er es erraten. Sie brauchten immer weniger Worte, um einander zu verstehen. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Mando wunschlos glücklich. Wenn sie, was immer seltener geschah, an ihr altes Leben zurückdachte, schauderte sie vor dem Menschen, der sie einst gewesen war. Hatte sie wirklich geglaubt, durch Ruhm, Macht und Reichtum in einer Welt der Intrigen glücklich zu werden? Aber um Glück war es ihr damals nicht gegangen. Wie beim grünen Kasten hatte sie mehr an die Hülle als an den Inhalt gedacht.
Sie sprach mit Marcus oft darüber, was geschehen sein könnte, wenn sie gleich nach der Entdeckung ihrer Liebe zueinander durchgebrannt wären. Am Ende solcher Gedanken stand immer ein Satz: Dann hätte Mando Mavrojenous Mykonos nicht gerettet.
»Die Hütte wird schlimm aussehen«, warnte Marcus.
»Ich habe sie schon einmal in Ordnung gebracht«, erinnerte ihn Mando.
»Gute Arbeit«, sagten beide gleichzeitig und begannen das Notwendige zusammenzupacken.
Während Marcus das völlig verkommene Innere der Hütte inspizierte, lief Mando zum Brunnen. Im vertrockneten Gras daneben lag ein verrosteter Eimer, aber das Seil war weniger zerschlissen, als sie erwartet hatte. Sie tauchte den Eimer ein und schlürfte das Wasser aus der hohlen Hand.
»Nicht!«, rief ihr Marcus zu. »Der Brunnen war nicht abgedeckt. Ich muss ihn erst untersuchen und Kalk hineinwerfen.«
Sie konnten nicht wissen, dass es schon zu spät war.
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