Die Rebellin
zugesagte Pension auszahlen werde. Wie Kapodistrias damals beklagte auch er jetzt die lächerliche Summe. Dem Brief waren Smaragdohrringe beigelegt, über die sich der General in seinem Brief nicht geäußert hatte.
Was für ein Mann, dachte sie. Ich verstehe, dass damals im Befreiungskrieg ganze Truppenteile die Waffen niedergelegt haben, damit er aus dem Gefängnis in Hydra entlassen wurde! Sie dachte an Dimitri, der ihr einmal erklärt hatte, dass es kein Wort dafür gäbe, seine Gefühle für Kolokotronis zu beschreiben. Liebe wäre ein Wort, das er nur mit Frauen in Verbindung bringen könnte, aber der alte General würde auch in den Männern, die ihm nahe stünden, so eine ähnliche Regung erwecken. Es war einer der Nächte gewesen, in denen sich Ypsilanti mit ihr Zeit genommen und sie zärtlich geliebt hatte. Jetzt war Mando froh, dass sie dem General gestanden hatte, Dimitri schlecht behandelt zu haben. Es war beinahe so, als ob sie Dimitri damit selber Abbitte geleistet hätte. Sie hatte ihn benutzt. Von Anfang an. Und er hatte versucht, sich zu wehren. Nein, sie hoffte nicht mehr, dass er an seinem Speichel erstickt war, sie wünschte, dass er sich jetzt in einer besseren Welt befand und ihr verziehen hatte.
Da es bald Winter werden und die Hütte dann nicht mehr bewohnbar sein würde, verbrachte Mando im Oktober 1838 einen ganzen Monat in Kalo Livadi. Zweimal sah sie das Boot näher kommen und beim zweiten Mal rannte sie zum Strand und versuchte es zu sich heranzuwinken.
»Ich bin eine alte Frau!«, schrie sie dem umkehrenden Boot hinterher. »Einundvierzig Jahre alt! Komm zurück, Geliebter, und lass uns nur nebeneinander liegen!«
Aber es war gut, dass er ihre Worte nicht gehört hatte.
Als Mando zwei Tage später ins Haus ihrer Tante zurückkehrte, fiel ihr die alte Frau weinend um den Hals.
Anna war tot.
Lambrini, dachte Mando erschüttert, schon wieder hat sie ihre Mutter verloren. Sie erfuhr, dass Anna trotz der Warnung des Arztes schwanger geworden und im fünften Monat zusammen mit ihrem Kind gestorben war.
»Mein armer Marcus!«, weinte seine Mutter und klammerte sich an Mando.
»Kind, du musst ihm helfen!«
»Ich!«, rief Mando erschrocken. Sie war der letzte Mensch, der Marcus in dieser Stunde helfen konnte.
»Ich kann nicht nach Paros, das würde ich nicht überleben! Mando, liebste Nichte, du warst Marcus einst so nah, du bist die Einzige, die ihm jetzt wirklich beistehen kann! Fahr nach Paros, ich flehe dich an!«
Nein!, schrie alles in Mando. Ich darf es nicht tun!
Drei Stunden später saß sie auf einem schaukelnden Khaiki und segelte Richtung Paros. Ein heftiger Südwind war aufgekommen und zum ersten Mal in ihrem Leben wurde Mando seekrank. Warum sterbe ich nicht, dachte sie nur immer wieder, es ist ungerecht, dass all die Menschen sterben, die noch so viel zu geben haben! Es ist ungerecht, dass Irini so jung sterben musste und Anna, die ihr so geglichen hat und meine Tochter erziehen sollte!
Niemand holte sie am Hafen ab. Sie ging in ein Kafenion, ignorierte die erstaunten Blicke der Männer und säuberte ihr Kleid so gut sie konnte. Dann machte sie sich zu Marcus' Haus auf.
Er empfing sie mit einem Kopfnicken. Seine Augen waren wie tot, sein glattes graues Haar hing stumpf auf seinen Schultern und die ineinander verkrampften Hände sahen aus wie Reptilien aus uralter Zeit.
In der Katapoliani, wo einst ihrem Vater die letzte Ehre erwiesen wurde, fand die Trauerfeier statt. Ob man jemals die hundertste Tür finden wird, fragte sich Mando, als sie neben Marcus auf den offenen Sarg blickte.
Tausend Bilder schoben sich vor ihr geistiges Auge. Hussein Pascha, Pappas Mavros, der Lord mit der komischen Perücke, Jakinthos, lieber, lieber Jakinthos, Irini und ihre Zwillinge, was war aus Antonis und den beiden anderen Kindern geworden? Sie musste unbedingt nach Tinos! Vassiliki, geliebte todbringende Dienerin, Selim, Marmellakis, Lena, Ypsilanti, Bobolina, inzwischen auch tot, vom eigenen Bruder ermordet, Kolokotronis, der edle, Kapodistrias, der noble, Kolettis, der Intrigant, Mavrokordatos, der Ministerpräsident, Jaja, ob sie wohl noch lebte? Maria Jannaki, dachte Mando plötzlich, das schüchterne Mädchen aus Argos, das mit Marcus das Lager geteilt hatte und mit Dimitri, andere Menschen, so viele Menschen! Miaulis, Tombasis, mein Gott, die Zeit in Tripolis, geliebter Marcus, armer Marcus … Lambrini war in Paris und wusste noch nicht, dass sie zum zweiten Mal eine Mutter
Weitere Kostenlose Bücher