Die Rebellin
lächeln. Sie sah sich als Elfjährige mit dem nur wenig älteren Jakinthos am Strand. Sein Vater, ein reicher Kaufmann und Reeder, war nach Paros gekommen, um mit ihrem Vater Geschäfte zu machen. Sie hatte Jakinthos zu einem Piratenspiel am Strand eingeladen, aber schon nach wenigen Minuten fand der Reederssohn ein Piratenspiel ohne Schiff langweilig. Sie wateten durch das flache Wasser zu einem kleinen Khaiki, lichteten den Anker, setzten das Segel und nahmen Kurs auf die offene See. Mando stand am Bug, hob die Arme und jubelte. Noch nie war sie sich so frei vorgekommen! Das Glücksgefühl währte nicht lange. Im Schutz der Bucht von Parikia war von dem starken Meltemiwind nur wenig zu merken gewesen, aber kaum hatte das Khaiki die Landzunge von Aghios Fokas umschifft, als das Boot bedrohlich zu schwanken begann. Obwohl der Junge ein geübter Segler war, fehlte ihm bald die Kraft das Boot allein zu steuern. Er brüllte Mando an, ihm zu helfen, und mit vereinten Kräften glückte es ihnen, das Khaiki vor dem Kentern zu bewahren. Mando stellte sich dabei so geschickt an, dass er ihr später ein natürliches Talent im Umgang mit Booten bescheinigte. Anstatt aber zurück in die sichere Bucht zu segeln, nahmen die Kinder Kurs auf Antiparos. Noch bevor sie die vorgelagerte Insel erreichten, prallten sie gegen einen Felsen im Meer. Das Boot lief schnell voll, aber es sank nicht, da Jakinthos es an einer Klippe festgebunden hatte. Sie wurden erst gegen Abend entdeckt, als sich der Meltemi gelegt hatte und die ersten Fischer wieder ausfuhren.
Als die beiden Kinder in Mandos Elternhaus abgeliefert wurden, erhielt Jakinthos von seinem Vater eine Tracht Prügel und Mando wurde von ihrer Mutter für einen Tag und eine Nacht in eine fensterlose Rumpelkammer gesperrt. Vassiliki, die wusste, wie sehr sich das Mädchen vor der Dunkelheit fürchtete, hatte ihr heimlich eine Öllampe zugesteckt. Als deren Schein auf jenen grünen Kasten fiel, den sie als kleines Kind einmal heimlich geöffnet hatte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Sie würde den Inhalt dieses Kastens nie vergessen.
»Wohin kann ich Sie begleiten?«, fragte Jakinthos jetzt.
»Ich brauche ein Boot«, erklärte Mando und reichte Jakinthos ein Beutelchen. »Bitte finden Sie einen Fischer, der meine Schwester und ihren Mann aus Tinos holt.«
Jakinthos nahm das Beutelchen nicht. Er schüttelte den Kopf und wies auf den Himmel, über den inzwischen erste Wolkenfetzen jagten. »Kein Fischer wird jetzt sein Khaiki aufs Spiel setzen«, sagte er. »Es kommt ein Sturm auf.«
Wie zur Bestätigung blähte ein Windstoß Mandos Rock auf und enthüllte ein Unterkleid aus Brüsseler Spitze.
»Das ist mir egal«, sagte sie störrisch.
»Mir auch«, sagte er und nahm wieder ihren Arm. »Mein Schiff ist stabiler, ich werde Ihre Schwester holen.«
»Dann komme ich mit.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich möchte nicht noch einmal mit Ihnen Schiffbruch erleiden.«
»So dumm habe ich mich doch damals gar nicht angestellt.«
»Das stimmt.«
Beide lachten und lösten damit lautes Getuschel der neben und hinter ihnen Gehenden aus. Einen Moment lang vergaß Mando ihren toten Vater.
»Diesmal müssen wir nicht selber Segel setzen«, setzte Jakinthos hinzu und deutete auf einen Dreimaster, der vielleicht fünfzig Meter entfernt in der Bucht dümpelte. »Ich habe eine erfahrene Mannschaft. In ein paar Stunden könnten wir wieder zurück sein.«
Er half ihr in ein kleines Boot, das von einem älteren Schiffer gerudert wurde. »Sollten Sie nicht Ihrer Mutter Bescheid sagen?«, fragte er, aber Mando schüttelte den Kopf.
»Sie wird gar nicht merken, dass ich fehle«, sagte sie und dachte, wie anders es gewesen wäre, wenn statt des Vaters die Mutter gestorben wäre. Ihn hätte sie nie allein gelassen, ihm hätte sie ein Trost sein können. Sie hatten sich ohne Worte miteinander wohl gefühlt. Sie wusste, dass sie sein Lieblingskind gewesen war, was vielleicht weniger mit ihr selber zu tun hatte, als eher damit, dass er Zeit gehabt hatte, sich mit ihr zu beschäftigen und sie kennen zu lernen. Als ihre älteren Geschwister jung gewesen waren, hatte ihr Vater noch einen hohen Posten bei der Militärpolizei in Triest bekleidet und musste sich außerdem um sein dortiges Bank- und Handelshaus kümmern. Da blieb wenig Zeit für Frau und Kinder übrig. Zakarati hatte ihm nie verziehen, dass er nicht einmal zur Beerdigung ihres Lieblingssohnes Dimitri von einer Geschäftsreise
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