Die Rebellion der Maddie Freeman - Kacvinsky, K: Rebellion der Maddie Freeman - Awaken
hatte.
Statt sie zu beantworten, lächelte Mike in meine Richtung und fragte, wie ich hieß. Ich ließ langsam die Hand sinken und schaute mich verunsichert im Klassenzimmer um. Noch nie hatte ein Fremder mich einfach so nach meinem Namen gefragt. Hatte er keinen Respekt vor Privatsphäre? Er brauchte meinen Namen nicht zu wissen, schließlich war das hier nur eine Nachhilfestunde. Ich knabberte an einem Fingernagel herum, während ich zu entscheiden versuchte, wie ich reagieren sollte. Dabei spürte ich die Blicke der anderen auf mir, ganz besonders Justins.
»Wieso wollen Sie das wissen?«, fragte ich schließlich abwehrend.
Mike musste lächeln, was mich noch mehr irritierte. Machte es ihm etwa Spaß, mich hier vor allen bloßzustellen?
»Es ist leichter, dich in der Klasse aufzurufen, wenn ich deinen Namen kenne«, erklärte er. »Das ist weniger unpersönlich als ein ›Hey du‹.«
»Oh«, sagte ich. Bei näherem Nachdenken wirkte das einleuchtend. Nur fand ich es eben normaler, unpersönlich miteinander umzugehen.
»Sorry«, sagte ich. »Mein Name ist Madeline.« Wie seltsam es war, das laut auszusprechen. Meine Stimme schien von denWänden widerzuhallen, als hätte ich ein Mikrofon benutzt. Ich erwartete einen strafenden Blick, aber Mike nickte nur aufmunternd.
»Gut, Madeline«, sagte er und wandte sich wieder der virtuellen Schultafel zu, um meine Frage für die ganze Klasse zu beantworten. Während er sprach, krampfte sich alles in mir zusammen vor Scham, weil ich so unhöflich gewesen war. Verlegenheit war für mich normalerweise ein privates Gefühl, das ich nie außerhalb meiner eigenen vier Wände zu empfinden brauchte. Am liebsten hätte ich mich vor den anderen gerechtfertigt, immerhin war ich zum ersten Mal live in einer Unterrichtsstunde und nicht daran gewöhnt, mich unter Menschen zu bewegen. Ich schaute mich um und stellte fest, dass ich von Justin beobachtet wurde.
»Was?«
»Bist du wirklich noch nie in einer Lerngruppe gewesen?«, fragte er mit gesenkter Stimme.
»Doch, schon oft«, sagte ich.
»Okay, aber in einer echten? Offline?«
Ich nickte und sein Blick wurde ungläubig. Als ob er mich schon gut genug kennen würde, um mir eine Lüge an der Nase anzusehen.
»Meine Eltern kontrollieren, wohin ich im Netz gehe«, erklärte ich schnell. »Sie haben eine Menge Seiten geblockt, damit ich solche Gruppen gar nicht finde.«
»Ach so, stimmt ja«, sagte er mit einem Nicken. »Du hast Hausarrest.«
»Genau, ich habe Hausarrest«, wiederholte ich und hätte am liebsten mit den Zähnen geknirscht. »Nachdem nun der ganze Raum gehört hat, dass ich ein rebellischer Teenager bin, können wir vielleicht das Thema wechseln?«
Ich wandte mich ab, fühlte aber immer noch seinen Blick, als wäre die Luft zwischen uns elektrisch aufgeladen.
»Da haben wir ja noch eine Menge Arbeit vor uns«, sagte er.
Ich schaute ihn verwirrt an. Wen meinte er mit wir ? Doch der Tutor begann seinen nächsten Vortrag, bevor ich nachfragen konnte.
Den Rest der Unterrichtsstunde hindurch beobachtete ich Justin aus dem Augenwinkel. Mir fielen ein paar Details auf, die ihn ungewöhnlich machten. Erstens konnte er nicht stillsitzen. Mal trommelte er mit dem Fuß auf den Boden, dann mit den Fingern auf die Tischplatte, knabberte abwechselnd an seinem Stift und an seinen Nägeln. Wenn er gerade nicht herumzappelte, malte er in seinem Notizbuch herum, als sei der Unterrichtsstoff unter seinem Niveau. Ein einziges Mal meldete er sich, und zwar um bei einer Frage zu helfen, mit der sogar der Tutor Schwierigkeiten hatte. Wenn er so ein Genie war, was machte er dann hier?
»Das stimmt so nicht«, bemerkte er einmal und zeigte auf eine Textstelle in meinem Computer. Instinktiv rückte ich ein Stück von ihm ab. Erstens hatte er sich beim Sprechen viel zu nah an mich gelehnt, sodass ich seinen Atem in meinen Haaren spürte. Und zweitens fragte ich mich, wieso er mir überhaupt über die Schulter schaute. War er hier vielleicht der Lehrer?
»Du kaust also auch an den Nägeln«, sagte er ein anderes Mal.
Ich setzte mich auf meine Hände und fragte mit schmalen Lippen: »Na und?«
»Kein Grund, gleich so bissig zu werden. Ist ja kein Verbrechen.«
»Wenn es nach meiner Mom ginge, dann schon«, sagte ich und zog die Hände wieder hervor. Kritisch betrachtete ich die angeknabberte Haut meines Nagelbetts. »Sie versucht mich mit Kaugummi zwangszufüttern, wenn sie mich erwischt, aber ich komme mit dem Zeug nicht
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