Die Rebellion
ihn niemals
wirklich gekannt.« Adrienne lächelte schwach. »Andererseits
habe ich mich auch niemals wirklich mit ihm beschäftigt.«
»Er war Euch egal.«
»Auch das. Doch das hat sich geändert.«
Evangeline blickte Adrienne fest in die Augen. »Warum?
Was ist geschehen? Was ist passiert, daß Ihr zu mir kommt und
mir Fragen über Finlay stellt?«
Zum ersten Mal senkte Adrienne den Blick, doch ihre Stimme blieb fest. »Ich brauche Hilfe, und ich kann sonst nirgends
hin. Meint Ihr allen Ernstes, ich würde zu Euch kommen, wenn
ich einen anderen Weg wüßte? Robert hat mich und die Kinder
beschützt, aber er wurde auf ein Schiff versetzt. Euer Vater hat
es arrangiert. Er beginnt, Druck auszuüben. Er bedroht mich
und meine Kinder. Ich kann mich selbst wehren, doch die Kinder müssen geschützt werden. Ich brauche Hilfe. Eine Waffe,
die ich einsetzen kann, um mich und die Meinen zu verteidigen. Die Tatsache, daß ich mich an Euch wende, sollte Euch
zeigen, wie verzweifelt meine Lage ist. Ihr liebt Finlay, und ich
bin mit ihm verheiratet. Er ist ein Teil unserer beider Leben,
und wir haben eine Menge wegen ihm durchgemacht, auf die
eine oder andere Weise. Vielleicht finden wir eine Gemeinsamkeit. Es tut mir leid, wenn ich Euch sagen mußte, welche
Rolle Euer Vater in dieser Sache spielt. Ich weiß, daß Ihr ihm
sehr nahesteht, aber …«
»Nein!« unterbrach Evangeline Adrienne unvermittelt. »Wir
stehen uns … überhaupt nicht nahe.«
Adrienne hob eine Augenbraue. In Evangelines Stimme hatte
ein Ton mitgeschwungen … »In der Öffentlichkeit und bei
Hofe seid Ihr immer an seiner Seite. Ihr erweckt ohne Zweifel
den Anschein …«
»Der Schein kann trügen. Bitte, Ihr müßt jetzt gehen. Er wird
bald hiersein, und er darf Euch nicht sehen. Ich möchte, daß Ihr
jetzt geht.«
»Warum? Was ist so Besonderes am Besuch eines Vaters bei
seiner Tochter?« Adriennes Augen verengten sich. »Ihr habt
ein Geheimnis. Ich kann es riechen, und ich spüre Eure Furcht.
Was ist es? Hat er Euch verletzt? Der Shreck ist ein verdammter Bastard und Schläger, wie die meisten Männer, aber ich
wußte nicht, daß er gewalttätig gegenüber seiner eigenen Familie ist.« Adrienne verstummte abrupt, als sie den plötzlichen
Ausdruck von Schmerz und Leid auf Evangelines Gesicht bemerkte. Tränen rannen über Evangelines Wangen, und sie rang
um Atem. Adrienne beugte sich vor und nahm Evangelines
Hände in die ihren. »Nein, nein, hört auf damit, Kleines. Was
auch immer es sein mag, ich werde Euch helfen. Ich bin gut
darin, Dinge zurechtzurücken. Und es gibt keinen einzigen
Mann auf der Welt, der solche Tränen wert ist. Ist es Euer Vater? Hat er Euch geschlagen? Ich kann mit einflußreichen Leuten bei Hofe sprechen …«
»Nein. Er ist nicht … gewalttätig. Er …« In Evangelines
Hals bildete sich ein Kloß. Sie konnte nicht weitersprechen. Sie
spürte die Röte auf ihren Wangen, als die Scham sie übermannte. Die Stimme ihres Vaters donnerte durch Evangelines Kopf.
Du kannst es niemandem verraten, niemals. Oder sie werden
entdecken, daß du ein Klon bist. Und du weißt, was mit dir
geschieht, wenn du ihnen auch nur den kleinsten Hinweis lieferst. Außerdem würde dir sowieso niemand glauben. Und ich
schwöre dir, wenn du trotzdem jemals den Mund aufmachen
solltest, dann werde ich dir weh tun, kleine Evie. Ich werde dir
weh tun, bis du vom Schreien heiser bist. Wage es ja nicht,
jemals den Mund aufzumachen!
Evangeline umklammerte Adriennes Hände, als würde sie
aus ihnen Kraft ziehen können. Sie saß da mit der Frau, die sie
am meisten von allen Menschen gehaßt hatte, und sie war so
dicht davor wie noch nie, ihr Geheimnis preiszugeben, das sie
so sorgsam gehütet hatte, jene Sache, über die sie noch nie mit
einem Menschen gesprochen hatte, noch nicht einmal mit Finlay. Vielleicht, weil nur eine Frau wie Adrienne es hören konnte, ohne sie zu verurteilen. Ihren Schmerz und ihr Entsetzen
anhören konnte, ohne daß sie vor Scham starb. Und ganz sicher
würde nur eine Frau wie Adrienne einen Dreck darauf geben,
daß Evangeline ein Klon war …
»Sagt mir, was Euch bedrückt, Kind«, redete Adrienne mit
ruhiger, fester Stimme auf Evangeline ein, damit sie nicht bemerkte, wie sehr ihr Griff um Adriennes Hände schmerzte.
»Wir Frauen müssen zusammenhalten. Wir leben in einem
Männerimperium, selbst wenn eine Frau auf dem Thron sitzt,
aber wir müssen uns nicht alles gefallen lassen. Männer
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