Die Rebellion
hatte die Stimme dagegen erhoben. Niemand hatte es gewagt,
nicht einmal der alte Shreck.
Aber noch mehr sorgte der Shreck sich, daß man Evangeline
als Klon identifizieren könnte, und das in diesen Zeiten, in denen Klone nichts zu lachen hatten. Falls jemals herauskam, daß
der Shreck seine Tochter nach ihrem plötzlichen Tod geklont
und den Klon anschließend als seine echte Tochter ausgegeben
hatte, gäbe es bei Hofe und in der Gesellschaft einen Aufruhr.
Es war der schlimmste Alptraum eines jeden Aristokraten,
selbst durch einen Klon ersetzt zu werden. Gregor würde bestraft und geächtet, und der Klon Evangeline würde zerstört
werden – hauptsächlich wegen des Verbrechens, alle so lange
an der Nase herumgeführt zu haben.
Doch auch das war noch nicht die ganze Wahrheit. Der
Shreck hielt Evangeline als Gefangene, weil er die Macht dazu
besaß. Er wollte Evangeline lieben, sie umsorgen und vollkommen besitzen. Wie es bei seiner richtigen Tochter gewesen
war. Der Shreck hatte seine Tochter nicht als Vater geliebt,
sondern als Liebhaber. Vielleicht hatte er sie aus diesem Grund
getötet. Evangeline kannte die wahre Geschichte nicht. Der
Shreck bestand darauf, daß es ein Unfall gewesen war, doch
hin und wieder ließ er versteckte Andeutungen fallen, daß niemand ihm jemals trotzen und lange genug überleben würde, um
sich damit zu brüsten. Evangeline hielt den Kopf demütig gesenkt und tat, was der Shreck von ihr verlangte. Sie haßte ihren
Vater und hätte ihn auf der Stelle getötet, wenn sich eine Möglichkeit geboten hätte, doch im Augenblick blieb ihr keine andere Wahl, als seinem Willen zu gehorchen. Evangeline spielte
die liebevolle, ergebene Tochter, und als Gegenleistung schützte der Shreck die Frau ihres wirklichen Geliebten Finlay und
seine Kinder, wie Evangeline es Finlay versprochen hatte. Finlay wußte nichts von dem Preis, den Evangeline dafür zahlte.
Er durfte es niemals erfahren, oder er würde aus dem Untergrund stürmen und schreckliche Rache nehmen, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben. Evangeline sorgte sich um ihn.
Also verriet sie nichts. Evangeline liebte Finlay so sehr, daß sie
eine Rolle spielte, die sie früher oder später zerstören würde,
und sie dachte nicht ein einziges Mal darüber nach, wie unfair
das alles war.
Evangeline stand kurz davor zu zerbrechen, obwohl ihr selbst
diese Tatsache noch nicht bewußt war. Sie besaß zu viele Verpflichtungen gegenüber zu vielen Leuten. Gegenüber ihrem
Vater, wegen seines Schutzes. Gegenüber Finlay und seiner
Familie, wegen seiner Liebe. Gegenüber der Untergrundbewegung von Espern und Klonen, wegen der gerechten Sache.
Und, und, und … Sie alle wollten etwas von Evangeline, und
manchmal alle zur gleichen Zeit. Es fiel ihr immer schwerer,
die verschiedenen Parteien getrennt zu halten. Unterschiedliche
Lügen für unterschiedlich Leute. Bis die Wahrheit sich ganz in
Rauch auflöste. Evangeline liebte Finlay noch immer von ganzem Herzen, obwohl sie ihn immer seltener zu Gesicht bekam.
Der Untergrund beschäftigte ihn mit Aufträgen, über die Finlay
niemals ein Wort verlor. Evangeline war die Kontaktperson
zum Hof und zur Gesellschaft gewesen, aber da sie inzwischen
so selten nach draußen kam, wurde ihr Nutzen für die Bewegung immer geringer. Sie durfte keine Erklärung abgeben. Ihre
Verbindungsleute könnten es Finlay erzählen. Und sie durfte
natürlich auch ihrem Vater nichts verraten, weder von Finlay
noch von der Untergrundbewegung. Der alte Shreck hätte sie
auf der Stelle getötet. Für das, was sie getan hatte, und weil sie
ihm getrotzt hatte. Und weil Evangeline gewagt hatte, jemand
anderen zu lieben.
Der Shreck konnte schließlich jederzeit eine neue Evangeline
klonen. Er hatte es bewiesen.
Und so marschierte Evangeline in ihrem Appartement auf
und ab, während ihre Gedanken sich überschlugen und gegen
die schwankenden Wände ihrer zahlreichen Rollen prallten,
ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Sie näherte sich still und
leise dem Wahnsinn. Evangeline sprach kaum jemals mit anderen Menschen, aus Angst, der falschen Person das Falsche zu
verraten. Und sie fürchtete ständig, daß der nächste Besucher
an ihrer Tür von der Sicherheitsbehörde sein könnte, mit einem
Haftbefehl in der Hand, um sie mitzunehmen und in die Verhörzellen zu werfen. Sie würden Evangeline zum Reden bringen. Alles hing von ihrem Schweigen ab, Finlay, der Vater, die
Untergrundbewegung, und
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