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Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Titel: Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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durchzusetzen, Mitstreiter zu gewinnen und ihren Unmut auf dem parlamentarischen Weg zu artikulieren, gehört nach wie vor zum politischen Alltag. Allerdings sind die Zeiten des Demonstrationsrituals – etwa während der sechziger und siebziger Jahre – offenbar vorbei. Zuweilen kam der meist kritische Student schon durcheinander: »Geht es heute um Chile, den Faschismus in Portugal und Griechenland, um AKW , Vietnam oder Berufsverbote?«
    Reinhard Mey nahm dies im Jahr 1971 in seiner
Ballade vom sozialen Aufstieg des Fleischermeisters Fred Kasulzke,
eines findigen Unternehmers, meisterhaft auf die Schippe.
    Wenn er Müßiggänger, Rentner, Pensionäre drillen lässt, kann er eine Firma gründen für gemieteten Protest,
    Und am nächsten Tag ist’s schon in jeder Zeitung inseriert:
    Fünfundzwanzig, null, null, dreißig, Fred Kasulzke protestiert!
    Um halb neun ruft zögernd die Frisörinnung an
    Und bestellt einen Protestmarsch für Haareschneiden.
    Fred Kasulzke akzeptiert und schickt fünfunddreißig Mann,
    Und sein Honorar ist derzeit noch bescheiden …
    In Kasulzkes Hauptquartier steh’n fünf Kolonnen bereit
    Für Manifestationen und Krawall:
    Pressefreiheit, Antibabypille, Verkürzung der Arbeitszeit,
    Für und wider, jederzeit und überall.
    Eine Truppe macht nur Sitzstreiks, eine zweite spricht im Chor,
    Fackelzüge macht die dritte und die vierte macht Terror.
    Nummer fünf ist die Elite und nur drauf spezialisiert,
    Wie man ausländische Botschaften mit Tinte bombardiert.
    Trotz des Abebbens der »Demo-Manie« ist unverkennbar, dass sich immer mehr Normalbürger am öffentlichen Protest beteiligen oder ihn selbst organisieren. Der brave, kriecherische Untertan des Kaiserreichs und der Nazidiktatur wird mehr und mehr zum reaktionären Fossil. Und auch die Boulevardmedien geben es mehr und mehr auf, Autofahrer gegen Demonstranten als vermeintliche Urheber von Staus oder Umleitungen aufzuhetzen. Mittlerweile demonstrieren ja sogar die Polizisten, zum Beispiel für bessere Bezahlung. [181]
    Sind Demos aber letztlich mehr als »Wut rauslassen«? Man solle die Macht von Demonstranten nicht unterschätzen, unterstreicht der Hamburger Politologe Wolfgang Kraushaar, das zeige der Erfolg der DDR -Bürgerrechtsbewegung ebenso wie der Grünen. Aus der Protestbewegung der sechziger und siebziger Jahre hervorgegangen, seien sie »inzwischen dabei, in Meinungsumfragen die SPD zu überholen«. [182]
    Erinnern wir uns nur an die unzähligen Demonstrationen gegen die Agenda 2010 . Unter anderem erweckten einfache betroffene Bürger die legendären DDR -Montagsdemonstrationen von 1989 fünfzehn Jahre später zu neuem Leben, diesmal als wochenlangen, vor allem aber massenhaften Protest gegen den umfassenden Abbau des Sozialstaates durch Rot-Grün. Politiker hatten übrigens auf den meisten dieser Demonstrationen Redeverbot: Auf das übliche telegene Solidaritätsblabla konnte man dankend verzichten.
    Auch der Widerstand gegen Stuttgart 21 wurde in erster Linie durch Bürgerinitiativen ganz normaler Stuttgarter Einwohner begründet und nicht durch irgendeinen etablierten politischen Protestverein. Dass die Grünen auf der schwäbischen Welle mitschwammen, war eher ein ungeplanter Nebeneffekt. Demonstrationen, auch wenn sie heute anders ablaufen als vor vierzig Jahren, gewinnen wieder an Bedeutung gerade für die Normalbürger, die ihre bürgerlichen Freiheitsrechte wahrnehmen wollen. Diese Rechte aber lassen sich bekanntlich auf Dauer nur verteidigen, indem man sie auch nutzt. Sonst geraten sie nämlich in Vergessenheit, als hätten sie nie existiert, man denke nur an die Grundgesetzartikel 14 und 15 zur Enteignung, die nicht wenige Mitbürger für Bestandteile der letzten DDR -Verfassung halten.

Platsch, klirr, schepper: Gewalt gegen Sachen
    Die Berechtigung von Gewaltanwendung gegen Sachen – also nicht gegen Menschen – war und ist ein heiß diskutiertes Thema nicht nur innerhalb der Linken. Wenn ein verbrecherischer Immobilienspekulant mittels verkommener und zumeist wegen Körperverletzung vorbestrafter Schlägertypen seine Häuser »entmietet« – also die Mieter hinausekelt – und dann tatendurstige Leute diese verwanzten Bruchbuden
instandbesetzen
und aus erbärmlichen Rattenlöchern gemütliche Wohnstätten machen, muss man schon ziemlich krank im Kopf sein, um die Miethaie als angesehene Bürger zu achten, die Hausbesetzer aber als Kriminelle zu beschimpfen.
    Ein ähnliches Problem gab es während

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