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Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Titel: Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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Chaplin gelang mit seinem Film
Der Diktator
sogar das Undenkbare, nämlich den Massenmörder Hitler durch den Kakao zu ziehen, ohne ihn zu verharmlosen; und auch so manche Aktion und Lästerei des »Politclowns«, »Pudding-Attentäters« und »Spaßrevoluzzers« der Achtundsechziger, Fritz Teufel ( 1943 – 2010 ), ist noch heute in lebhafter Erinnerung [262] insbesondere sein Eid »Ich schwöre bei Karel Gott«. Weltweiten Kultstatus erreichte der Schuhwurf eines irakischen Journalisten auf George W. Bush am 14 . Dezember 2008 . Schon zwei Tage später stellte ein Brite das »Attentat« zum Nachspielen ins Internet. [263]
    In dieser Tradition sieht sich offenbar die inzwischen allseits bekannte Aktionstruppe
Die Überflüssigen.
Im Jahr 2004 in Berlin entstanden, fasste die Politspaßbewegung schnell auch in anderen deutschen Städten Fuß.
Die Überflüssigen
sind laut Selbstporträt [264] »überall und grenzenlos wie die kapitalistische Ausbeutung selbst … Menschen in den Industriestaaten, die vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen werden« und »stehen für den Teil der Menschen auf der Erde, deren Alltag seit jeher aus Erwerbslosigkeit, Armut, Hunger und Krieg besteht«. Sie »lassen sich nicht länger auf Abfallprodukte des Kapitalismus reduzieren« und »sehen die Ursache ihrer Situation in einem profitfanatischen System, das nicht unangenehme Arbeiten überflüssig macht, sondern Menschen …
Die Überflüssigen
lassen sich nicht mehr abspeisen mit dem abgeschmackten Versprechen künftiger Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Sie sind zuversichtlich, sich diesen Reichtum bald gänzlich anzueignen, denn mit jedem Prozentpunkt Wirtschaftswachstum werden sie mehr.« [265] »Jeder kann ein Überflüssiger sein«, ist das doppeldeutige Motto: »Jeden kann es erwischen«, aber auch »Jeder kann bei uns mitmachen«. Mit ihren Aktionen wollen
Die Überflüssigen
nämlich zeigen, »dass es auch für sozial Benachteiligte möglich ist, ihre Stimme zu erheben und die ganzen Ungerechtigkeiten anzuprangern.« [266] Ihr Markenzeichen sind rote Kapuzenpullis und weiße Masken, und wo sie auftauchen, ist immer was los.
    Viele der Aktionen sind auf der Homepage der Überflüssigen dokumentiert – hier eine Auswahl:
    11 . 10 . 2004 Berlin: Dreißig »Überflüssige« besetzen aus Protest gegen bevorstehende Einführung der 1 -Euro-Jobs die AWO -Bundeszentrale.
    18 . 12 . 2004 Berlin: Fünfzig Aktivisten dringen in das Berliner Nobelrestaurant Borchert ein, verteilen Flugblätter, auf denen die vorgesehenen Ausgaben für einen Arbeitslosengeld- II -Empfänger und die Preise in dem Restaurant gegenübergestellt werden, und bedienen sich an den Tellern der (regulären) Gäste. Zeitgleich protestieren fünfzig
Überflüssige
mit Samba-Gruppe, Weihnachtsbaum und Monstranz in einem Berliner Kaufhaus gegen Hartz IV . Den Baum schmückt man mit Kaufhaus-Süßigkeiten, die man später vor dem Gebäude an Passanten verteilt.
    1 . 5 . 2005 Hamburg:
Überflüssige
plündern im Nobelvorort Blankenese ein mit Lachs, tropischen Früchten und anderen Leckereien bestücktes kaltes Buffet eines Luxushotels. Was nicht geschafft wird, verschwindet in Tüten mit der Aufschrift
Fünf Sterne to go.
»Mit solchen Aktionen wollen wir zeigen, dass auch wir Hunger haben. Wir können uns aber von unseren 345  Euro Hartz IV so ein nobles Abendessen von 120  Euro nicht leisten.«
    11 . 8 . 2005 Darmstadt:
Die Überflüssigen
besuchen das Restaurant Orangerie und stören Bert Rürups Feier anlässlich des Erhaltens des Bundesverdienstkreuzes.
    19 . 8 . 2005 Köln: Beim Weltjugendtag mit dem Papst stiften sie Verwirrung mit einer Sankt-Prekarius-Prozession von zweihundertfünfzig »Brüdern und Schwestern des Dissidentiner-Ordens«. Neben der »Heiligsprechung« besucht man eine Lidl-Filiale: »Der heilige Prekarius möchte wissen, wer dafür verantwortlich ist, wer schikaniert die Beschäftigten, wer drangsaliert und bedroht die VerkäuferInnen, wer führt da so keck die Taschenkontrollen durch? Entlastet euer Gewissen und eure Herzen. Wie sieht er aus, wo ist sein Haus, welcher Name steht an seinem Klingelschilde, welches Auto steuert er nach Haus? … Wenn ihr Klage führen wollt, aus dem Verborgenen und im Gebet, dann saget und schreibet uns, was euch widerfahren ist (anonym an [email protected]).«
    19 . 10 . 2005 Berlin: Morgens um 6  Uhr wird der AWO -Landeschef mit viel Tamtam, Trommeln und Trompeten unsanft aus dem

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