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Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen

Titel: Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Wieczorek
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das Grundgesetz aufzuschlagen, um dann zu behaupten, dass das Wirklichkeit ist, was nach dem Wortlaut des Grundgesetzes Wirklichkeit sein soll, allein weil es dort so geschrieben steht.« [633]
    Udo Hochschild, Richter am Verwaltungsgericht
    In Wahrheit existiert bei uns die Gewaltenteilung nicht einmal in Ansätzen. So gut wie alles wird von der Legislative bestimmt, im Grunde also von den Parteien, die den Abgeordneten ja vorher zum Kandidaten machen mussten. Dem Wähler dürfte kaum immer klar sein, welche Macht er durch sein Kreuzchen verleiht.
    Die Parteien bestimmen die Regierung, die Verfassungsrichter, ja sogar – gemeinsam mit Regierungsvertretern – Verwaltungsräte und Intendanten der Öffentlich-Rechtlichen und damit deren politische Grundtendenz. Folglich ist unter »Ausgewogenheit« meist die Berichterstattung über Union und SPD beziehungsweise Schwarz-Gelb und Rot-Grün zu verstehen. Die wenigen kritischen Beiträge und Sendungen kann man getrost als Alibi werten, so wie damals die dunkelhäutigen Colin Powell und Condoleezza Rice in der Regierung von Bush junior.
    Man stelle sich nun einmal vor, sämtliche Abgeordnete, Kanzler, Bundespräsident und zumindest die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts sowie der Oberlandes- und Landgerichte würden direkt gewählt und damit der Gordische Knoten aus Filz und Seilschaftsmentalität (»Hast du das richtige Parteibuch«) endlich zerschlagen. Natürlich könnten die Parteien weiterbestehen, aber nicht mehr als Kuhhandels-Vereine: Der Wähler würde keinen Blankoscheck mehr ausstellen, sondern jede Rechnung prüfen und einzeln bezahlen.
    Eine Direktwahl der Verwaltungsräte sowie des Intendanten von ARD und ZDF würde parteipolitisch motivierte »Tendenzprogramme« zumindest erschweren. Und würden auch noch – wie es der Verwaltungsprofessor Hans Herbert von Arnim fordert [634]  – die Rechnungshöfe nicht mehr nach Parteienproporz, sondern direkt gewählt, dann käme nicht mehr so leicht der Verdacht auf, die Finanzprüfer würden Skandale aus parteipolitischen Gründen herunterspielen.
    Dies bedeutet keineswegs, dass einige der auf Parteiticket Reisenden nicht immer wieder Mut, Integrität und Unabhängigkeit beweisen – so kassierten die Karlsruher Richter im März 2010 das schwarz-gelbe Vorratsdatenspeicherungsgesetz als verfassungswidrig; und einzelne Abgeordnete stimmen zuweilen gegen ihre eigene Fraktion. Aber dieses Verhalten könnte bei Direktwahl die Regel, nicht die rühmliche Ausnahme sein.
    Jedenfalls wären wir bei einer in anderen Ländern üblichen Direktwahl aller Abgeordneten die lästigen, vom Wähler nicht änderbaren Listen endlich los – über die ja derzeit die Hälfte der Abgeordneten in den Bundestag und die meisten Landesparlamente [635] kommen, darunter viele, die keinen Wahlkreis der Welt jemals gewinnen könnten. Ein wahrer Horror für die Direktwahlgegner, dass ausgerechnet im großen Vorbild USA sämtliche Volksvertreter, die meisten Richter und so sogar die regionalen Bildungsverantwortlichen direkt gewählt werden. [636]
    Ein letztes gewichtiges Gegenargument ist der Einfluss der kleineren Parteien und der entsprechenden Meinungen im Volk. Die Grünen zum Beispiel hätten bis 2002 gar nicht und danach bis heute nur durch den dreimal in Folge direkt gewählten Hans-Christian Ströbele im Bundestag gesessen. Aber hätte das der Demokratie geschadet? Ihre Anhänger haben eine Partei für Frieden, schnellstmögliche AKW -Schließung und soziale Gerechtigkeit gewählt und den Bosnienkrieg, faule AKW -Kompromisse, Hartz IV und Steuergeschenke für die Konzerne und Bestverdiener erhalten – und das Dosenpfand natürlich. Will sagen: Was nützt dem Wähler eine Partei im Bundestag, die dann doch das Gegenteil ihrer Wahlversprechen praktiziert. Jeder Volksentscheid dagegen ist direkter Einfluss des Bürgers; abgesehen davon, wird sich das Problem des Einflusses kleinerer Parteien auch bei Direktwahl irgendwie lösen lassen, und sei es durch reservierte Mandate. Vom Blickwinkel direkter Demokratie aus gehört diese Frage allerdings nicht zu den wichtigsten. Fest steht, die wenigsten Bürger wollen notgedrungen über Liste Dick und Doof ins Parlament wählen. Sie wollen schlicht und einfach mitbestimmen: Demokratie heißt schließlich nicht Parteiendiktatur, sondern Volksherrschaft.
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