Die rebellische Republik / Warum wir uns nicht für dumm verkaufen lassen
Lehrstelle ihrer Kinder sogar Geld bezahlen würden – alles »freiwillig«, versteht sich.
Hier aber kommt die Globalisierung ins Spiel: Der beste Sozialstaat nutzt nichts, solange er nicht welt- oder wenigstens europaweit durchgesetzt ist. Gäbe es zum Beispiel überall ähnlich hohe Löhne und Sozialabgaben, dann hätten die Unternehmen keine Ausweichmöglichkeit mehr. Und dann würden sie tun, was sie eigentlich immer tun: Sie nehmen, so viel sie kriegen. Und wenn das weniger wird, dann nehmen sie notgedrungen wenigstens das. Was sollten sie auch machen? Es kommt also drauf an, den Widerstand möglichst global zu organisieren, und zwar so, dass Staaten, Regionen, Städte und Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Was heißt das konkret?
Die Heuschrecken zum Beispiel waren bis 2004 bei uns verboten. Man könnte sie jederzeit wieder verbieten. Zum anderen könnte ein Wirtschaftsriese wie Deutschland andere Staaten, besonders EU -Länder, wirksam unter Druck setzen – zum Beispiel keine Konzerne bei sich zu beherbergen, die anderswo Arbeitsplätze abgebaut haben, und auf dieser Grundlage menschenwürdige Mindestlöhne beschließen und vieles andere mehr.
Dies scheitert aber eben nicht an »Sachzwängen«, sondern daran, dass Regierungen zwar formal durch Multiple Choice »gewählt« werden, aber vom Großkapital durch Parteispenden, »Dankeschön-Jobs« und zahllose zwielichtige persönliche Verbindungen auf allen Ebenen unheilbar abhängig sind.
Deshalb ist es auch ganz natürlich und folgt nur dem Grundsatz »Wes Brot ich ess’ …«, dass die Regierung und teilweise die Opposition gewissenhaft und verbissen Konzerninteressen vertreten und dies als »gemeinwohlorientiert« verkaufen. Spätestens hier wird deutlich, dass viele der Probleme globaler Art sind, daher auch nur global bekämpft werden können, und dass die Völker, die sich dabei auf ihre Regierungen verlassen, meistens verlassen sind.
Aber nun bleiben globale Ausbeutung und Unterdrückung selten friedlich. Die Rohstoffkriege gegen Afghanistan und den Irak sind ja alles andere als Ausrutscher oder spontane Aktionen: Obwohl das Kapital »Planwirtschaft« angeblich ablehnt, plant niemand so akribisch die eigene Profitmaximierung und die Liquidierung sämtlicher toter und lebender Hindernisse auf diesem Weg. Die Globalisierung des Widerstands ergibt sich also und besonders aus der Tatsache, dass künftig mehr noch als heute die frömmsten Völker nicht in Frieden leben können, wenn dies den über Leichen gehenden Konzernen und Superreichen nicht gefällt. Und genau das geschieht, wenn diese Völker »unsere« Rohstoffe besitzen oder ihre bloße Existenz den nimmersatten Profitinteressen der großen Industrienationen entgegensteht. Was diesen Völkern, ihrer Bevölkerung einschließlich der Frauen, Kinder und Alten, blüht, deutete der ehemalige Verteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg in seinem unnachahmlichen höfischen Salbaderbajuwarisch im November 2010 bereits an. »Der Bedarf der aufstrebenden Mächte an Rohstoffen steigt ständig und tritt damit mit unseren Bedürfnissen in Konkurrenz«, verkündete der marktwirtschaftsbewusste Friedensengel. Diese könne zu neuen Krisen führen. Die Verknappung der Rohstoffe beeinflusse das wirtschaftliche Wohlergehen Deutschlands. »Da stellen sich Fragen auch für unsere Sicherheit, die für uns von strategischer Bedeutung sind.« SPD -Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann verstand natürlich genau und warnte Guttenberg zu Recht davor, »den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr in einen offensiven Interventionsauftrag zur Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen umzuinterpretieren«. Das Grundgesetz erlaube keine Wirtschaftskriege. [640]
In diesem Zusammenhang ist der Volksaufstand in Tunesien, Ägypten, Libyen und anderen Nahost-Staaten auch für uns von immenser Bedeutung. Zwischen deren Diktatoren und die westlichen, insbesondere die deutschen Regierungen von Kohl über Schröder und Merkel nämlich passte kein Körnchen Wüstensand – bis zum bitteren Ende und sogar noch danach. Als zum Beispiel Hosni Mubarak im Februar längst die politische Leichenstarre ereilt hatte, warnte unsere Kanzlerin vor einem zu schnellen Übergang zur echten Demokratie. Dabei bemühte ausgerechnet die damalige FDJ -Funktionärin Vergleiche zur DDR -Revolution von 1989 . Die Frau, die laut
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den schicksalshaften 9 . November in der Sauna vertrödelte und nach Erinnerungen der
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