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Die rechte Hand Gottes

Die rechte Hand Gottes

Titel: Die rechte Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Folco
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Detail überzeugte Henri vollkommen von der Gefahr, die von diesem kleinen Virtuosen des Fallbeils für seine eigenen Pläne ausging. Seit er durch eine Taktlosigkeit von Georgette erfahren hatte, daß Rosalie keine Kinder mehr bekommen konnte, wußte er, daß die Linie der Deiblers aussterben würde. Beim Tod des Meisters würde das Amt also automatisch dem ersten Gehilfen zufallen, nämlich Yvon. Der arbeitete aber nebenbei noch in einem Friseurgeschäft in der Rue Saint-Denis. Henri war entschlossen, ihn auszuschalten. Und nun kam dieser Bengel aus dem Aveyron daher und brachte alles durcheinander.
     
    Im Gegensatz zu seinen Gehilfen, die ihren zivilen Beruf beibehalten hatten, war Anatole Deibler »hauptberuflich« Scharfrichter, und er durfte Paris nicht verlassen, ohne zuvor eine schriftliche Genehmigung seines Vorgesetzten, des Leiters der ersten Strafabteilungskammer, einzuholen. Hingegen konnte er über seine reichlich bemessene Freizeit verfügen, wie es ihm beliebte, denn er köpfte nur rund dreißig »Kunden« pro Jahr. So hatte er etwa dreihundert freie Tage, die er für seine verschiedenen Freizeitbeschäftigungen nutzte.
     
    Er machte Fotografien, fuhr Fahrrad, spielte Billard, wettete bei Pferderennen und ging mit seiner Tochter auf den Jahrmarkt der Tröner Messe, wo er mit ihr Karussell fuhr. Er war ein begeisterter Kinobesucher, doch noch mehr hatte es ihm der Zirkus angetan. An diesem Donnerstag gab der Winter-Zirkus eine Vorstellung zugunsten sprachbehinderter Waisenkinder. Auf dem Plakat war neben den Clowns Zigoto und Tartempion eine sensationelle Attraktion angekündigt: der unglaubliche bucklige Zwerg El Pequenio und seine Partnerin, die Riesenanakonda Comédor. Letztere sollte den Zwerg vollkommen verschlingen und unversehrt wieder ausspucken. Natürlich durfte er eine solche Nummer auf keinen Fall versäumen.
    » Ich baue sie wieder zusammen, aber sie ist noch schmutzig«, sagte Saturnin.
    Einerseits war er verärgert, weil er seine Arbeit nicht hatte beenden können, andererseits begeisterte ihn die Vorstellung, in den Zirkus zu gehen.
    Henri, der »Dicke Louis« und Yvon sahen ihnen neidvoll nach, als sie im Automobil davonfuhren. Sie mußten jetzt wieder zur Arbeit gehen ...
    Nicht einmal eine Stunde später saß Saturnin in der ersten Reihe eines überfüllten Zeltes und neben ihm saßen Marcelle, die vor Ungeduld auf ihrem Platz hin und her rutschte, und ihr Vater, der sich beherrschen mußte, es ihr nicht gleichzutun. Außer der Nummer am Trapez und der der Tellerjongleure, die Saturnin langweilten, fand er alle anderen Darbietungen aufregend. Der Höhepunkt der Vorführung war jedoch ohne jeden Zweifel die Vorführung von El Pequenio als menschliches Futter für seine Partnerin.
     
    Der kühne bucklige Zweig, der einen wattierten, eng anliegenden Anzug trug, der zuvor mit einem trüben Fett eingestrichen worden war, ließ sich verschlucken und wieder ausspucken.
    Das Ganze dauerte zwar nur einen Augenblick, doch immerhin verschwand er voll und ganz im Inneren des Monsters, das ihn, wenngleich anscheinend äußerst widerwillig, wieder ausspie.
    Kaum war er wieder frei, legte EI Pequenio, der noch voller Schmiere und Speichel war, seiner Partnerin eilig einen Maulkorb an. Dann führte er sie unter dem wohlverdienten Beifall wieder zu ihrem Käfig. Dort erwartete sie ein Zicklein, das nichts von seinem Schicksal ahnte und friedlich an dem Stroh auf dem Boden knabberte.
    » Er soll nur aufpassen, daß ihn seine Comédor nicht eines Tages drinbehält und sich ans Verdauen macht«, sagte Anatole später auf dem Rückweg nach Auteuil. » Selbst wenn sie gezähmt sind, sind Schlangen dieser Größe sicherlich immer noch sehr hinterhältig.«
    »Und er ist nicht einmal bewaffnet«, pflichtete Saturnin ihm bei, der noch ganz unter dem Eindruck der Vorstellung stand. »Ich an seiner Stelle würde das nie ohne Messer machen, wenn sie mich dann nicht mehr ausspeien will, könnte ich mich damit wenigstens befreien.«
    Als sie nach Auteuil kamen, hielt Anatole vor der Gaststätte »Tout Va Bien«.
    »Wartet hier auf mich, es dauert nicht lange«, sagte er, während er aus dem Darracq stieg und in die Gaststätte ging.
    »Mein Papa schneidet Köpfe ab, und er hat viel Geld«, erklärte Marcelle, die mit dem Ballon der Hupe spielte.
    »In unserer Familie macht das mein Großvater«, gab Saturnin im gleichen Ton zurück.
    Darauf beschränkte sich ihre Unterhaltung, bis der Meister zurückkam, der

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