Die rechte Hand Gottes
Folie-Régnault hielt der Wagen vor der Hausnummer 60a an. Sie gingen in einen Innenhof, in dem Mülltonnen standen. Aus den Fenstern hing Wäsche. Anatole klopfte an ein Fenster im Erdgeschoß. Eine Frau, der man kein Alter ansah, öffnete.
» Guten Tag, Madame Clarence. Ich möchte Ihnen meinen Neuen vorstellen«, sagte er und bedeutete Saturnin, näher zu treten.
»Das ist Madame Clarence. Sie hat auch einen Schlüssel zum Schuppen. So weißt du, an wen du dich wenden kannst, wenn du ihn eines Tages mal brauchst, und ich nicht da sein sollte.«
Dann öffnete er die Tür des Schuppens mit seinem Schlüsselbund. Sie standen vor einer Guillotine. Eine zweite, die auseinandergenommen war, lehnte an der Wand.
» Lassen Sie die immer aufgebaut?« wunderte sich Saturnin.
» Das ist der sicherste Weg, nichts zu vergessen, wenn wir sie mitnehmen.«
Saturnin ging auf die Maschine zu. Sie sahen, wie er mit der Hand über die Holme strich, den Finger unter die Halsmulde schob, die Verschlüsse untersuchte und dabei das Gesicht verzog. Er richtete sich wieder auf und ging um die Guillotine herum, ohne sie noch einmal zu berühren.
Der »Dicke Louis« brach das Schweigen:
»Nun, was hält mein Gehilfe von unserer Maschine?«
»Sie ist schmutzig, und an dem Beschlagzeising sind die falschen Knoten.«
Wenn er auf ihre Schuhe gespuckt hätte, so hätte er sie nicht mehr beleidigen können als mit dieser Aussage. Selbst Anatole verlor die Beherrschung.
»Was gibt dir das Recht, so etwas zu sagen?«
Saturnin legte den Finger auf die Halsmulde:
»Sehen Sie selbst, die Gleitvorrichtung und die Verschlüsse sind nie richtig geputzt worden. Es ist Blut hineingetropft, und das ist schließlich verschimmelt: Daher rührt auch der üble Geruch. Was die Knoten angeht, so erkennt man sofort, daß sie nicht in Ordnung sind.«
»Das Schlimmste an der Sache ist, daß er recht hat«, gab
Henri zu, der dafür zuständig war, daß die Guillotine technisch in einwandfreiem Zustand war.
Was den Geruch anging, so hatten sie ihn alle schon seit geraumer Zeit bemerkt, ohne sich erklären zu können, woher er rührte. Und nun kam so ein Grünschnabel daher und lieferte ihnen in zwei Minuten die Erklärung...
Die Stirn vor Ärger kraus gezogen, sah sich Anatole selbst die Knoten an und mußte ihm zustimmen. Die Vorstellung, daß Hippolyte sicherlich umgehend erfahren würde, daß seine Guillotine schlecht gepflegt war, kränkte ihn in seiner Berufsehre.
»Das war die Concierge«, sagte Yvon, »im Tabakladen haben sie mir schon öfter erzählt, daß sie sie den Leuten zeigt, wenn wir nicht da sind. Sie nimmt sogar fünf Francs pro Person und noch mal fünf, um das Fallbeil runterzulassen.«
Der Meister verließ den Schuppen, und man hörte, wie er erneut bei der Concierge klopfte. Während er Madame Clarence ordentlich die Meinung sagte, deutete Yvon auf die Guillotine und sagte:
»Da du sagst, daß sie schmutzig ist, solltest du sie saubermachen, um uns unser Handwerk beizubringen.«
Saturnin nahm den Schraubenzieher, der auf einer Werkbank lag und wider einmal versetzte er sie in Erstaunen, als er sich vor die Halsmulde kniete und in blitzartiger Geschwindigkeit die Schrauben löste.
» Hast du denn schon einmal eine Guillotine auseinander genommen?«
»Ja, unsere im Herrenhaus. Als es klar war, daß ich hierherkommen würde, mußte ich sie auf Anweisung meines Großvaters einmal in der Woche auf- und abbauen.«
Die Gehilfen trauten ihren Ohren nicht.
»Ihr habt also eine eigene Maschine?« beharrte Yvon.
»Aber ja. Einer meiner Vorfahren hat sie selbst gebaut. Sie ist übrigens besser als diese hier. Sie wiegt nur fünfhundertzehn Kilo, die Ramme mitgerechnet. Eure hingegen wiegt sicherlich sechshundert oder mehr.«
Während er sprach, legte er die einzelnen Teile auf das Schaukelbrett. Jede seiner Gesten war präzise und ging in die nächste über.
Als Anatole wieder in den Schuppen kam, waren seine Wangen gerötet von der Standpauke, die er der unehrlichen Concierge gehalten hatte. Sein neuer Gehilfe war dabei, mit der Spitze eines Schraubenziehers das Blut aus den Rillen zu kratzen.
»Bau das sofort wieder zusammen, sonst kommen wir noch zu spät in den Zirkus. Wer hat dir überhaupt erlaubt, sie anzurühren?«
» Ich, Meister. Ich wollte sehen, ob er was davon versteht. Stimmt es, daß sie eine eigene Maschine haben?«
» Es stimmt, und man kann sogar Räder und eine Deichsel anbringen, um sie zu ziehen.«
Das letzte
Weitere Kostenlose Bücher