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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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nicht einmal der Erziehungsminister unsere Schule schließen.
    Bu Mus hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Sie war sehr angespannt, aber sie glaubte an Harun. Rechnen hatte sie mit ihm besonders intensiv geübt. Wir beteten zu Gott, dass Harun richtig antworten würde. Sahara und Mahar hatten schon feuchte Augen bekommen. Wir liebten unsere Schule und hatten Angst, wir könnten sie verlieren. Was sollten wir denn ohne Schule anfangen? Doch wir waren voller Zuversicht: Harun würde uns retten, auch dieses Mal!
    »Möchten Sie noch immer meine Antwort hören, Mister?«, drängte Harun, indem er einen Seitenblick auf sein Vorbild Trapani warf. Mister Samadikun blieb keine andere Wahl. Er hatte schon zu lange auf die Antwort beharrt, und es war unter seiner Würde, die Frage jetzt noch zu ersetzen.
    »Ja, Harun, wie viel ist zwei und zwei?«
    »Das weiß ich genau, Mister.«
    »Dann sag’s, Harun!«
    »Drei!«

 
     
     
    11  Mister Samadikun warnte Bu Mus in aller Deutlichkeit: »Ich komme nur noch ein einziges Mal. Wenn es hier dann nicht besser aussieht, ist Schluss!«
    Die Inspektion war vorbei, aber gemäß den Richtlinien hatte Mister Samadikun seinen Bericht durch einige Fotos zu ergänzen. Er ließ einen Fotografen kommen, der die Schule von mehreren Seiten aufnahm. Jedes Mal versuchte Harun, mit aufs Bild zu kommen. Als die Rückseite der Schule aufgenommen wurde, tauchte Harun breit lächelnd im Fensterrahmen auf und zeigte seine langen gelben Zähne. Ihm war nicht klar, dass so ein Foto benutzt werden konnte, um ihn der Schule zu verweisen und sie dann zu schließen.
    Mister Samadikun zeigte uns die Abzüge, und man konnte wirklich nicht übersehen, dass unsere Schule bedenklich schief stand, mehr oder weniger wie der Turm von Pisa. Mister Samadikun fügte die Fotos seinem Bericht hinzu, und wir konnten sicher sein, dass er alle zuständigen Stellen damit versorgen würde.
    Bu Mus zeigte sich jedoch unbeeindruckt. Sie machte uns wie üblich mit einem Vers aus den Heiligen Schriften Mut: »Nur Geduld«, sagte sie. »Auf finstere Tage folgen auch wieder helle.«
    Ohne lange Reden zu halten, gelang es Bu Mus immer wieder, unseren Glauben an uns zu stärken. Wir würden weiter für unsere Schule kämpfen, egal was geschah.
    Sie nahm Mister Samadikuns Drohung jedenfalls nicht zu schwer, zumal Lintang inzwischen ihre volle Aufmerksamkeit beanspruchte.
    Seit Lintang in der ersten Klasse das Anmeldeformular ausgefüllt hatte, rechnete sie den Jungen zu den Hochbegabten. So wie ein Schmied beharrlich die Klinge eines Dolches schleift, arbeitete Bu Mus daran, Lintangs Verstand zu schärfen. Unter ihren Händen begann sein Geist zu leuchten.
    Wir bewunderten ihn alle. Seine Augen blitzten vor Intelligenz, und unentwegt stellte er Fragen, weil er so wissbegierig war. Bu Mus und Pak Harfan wussten kaum mehr, was sie mit ihm machen sollten.
    Beim Multiplizieren war er der Schnellste, lesen konnte er am besten. Während wir noch Mühe hatten, gerade Zahlen zu addieren, konnte er schon ungerade Zahlen multiplizieren. Wir hatten erst mit dem Kopfrechnen angefangen, da rechnete er schon mit Dezimalbrüchen, konnte Wurzeln ziehen und potenzieren. Aber nicht nur das, er konnte schon mit Logarithmentafeln umgehen und erklären, wie Wurzeln und Potenzen miteinander korrespondieren. Seine Schwachstelle – wenn man dabei überhaupt von Schwachstelle sprechen konnte – war seine Schrift. Er hatte eine Klaue, bei der alles schief und krumm war. Die Motorik seiner Hand konnte einfach nicht mit dem rasenden Tempo seines Denkens mithalten.
    »13 mal 6 mal 7 plus 83 minus 39« lautete die Aufgabe, die Bu Mus uns stellte. Rasch nahmen wir unsere kleinen Stäbchen zur Hand, streiften den Gummiring ab, der das Bündel zusammenhielt, und begannen dreizehn Stück abzuzählen und auf die Seite zu tun. Das wiederholten wir sechs Mal. Alle zusammenzuzählen war schon schwierig genug. Und dann galt es, weitere sieben Häufchen zusammenzustellen. Alle mussten bei den beiden Multiplikationsschritten einzeln gezählt werden. Dann 83 dazu und 39 weg. Im Durchschnitt brauchten wir für eine solche Rechenaufgabe sieben Minuten. Unsere Methode führte zwar meist zum richtigen Ergebnis, aber war sehr langwierig.
    Lintang dagegen rührte kein einziges Stäbchen an. Er schloss kurz die Augen, nicht länger als fünf Sekunden, und rief: »590!«
    An dem Tag waren wir gerade erst in die zweite Klasse gekommen.
    »Großartig, Lintang! Großartig!«,

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