Die Regenbogentruppe (German Edition)
Flügelschlag lautlos. Jede ihrer Bewegungen, so fein sie auch sein mochte, folgte einem geheimen Takt. Sie bildeten ein Orchester aus Farben, schöner anzusehen als der Garten Eden. Wenn ich sie sah, bekam ich Lust, Gedichte zu schreiben.
An diesem Vormittag wurde die Harmonie der himmlischen Schmetterlinge allerdings gestört:
»Schwenkt die Fahne … Das heilige Zeichen des mächtigen Offiziels … Volwälts, volwälts! Im Gleichschlitt, im Gleichschlitt.«
A Kiong trug das Lied »Schwenkt die Fahne« von Ibu Sud vor, im Marschrhythmus, dass einem die Ohren wehtaten. Er blickte zum Fenster hinaus in Richtung des Labu Siam , der sich am Filicium hochgerankt hatte und dessen untere Äste voller dicker runder Früchte hingen. A Kiong sah nicht einen Moment in unsere Richtung. Er scherte sich nicht um uns Zuhörer.
Er nahm seine eigene Stimme gar nicht wahr, denn während er vor sich hin sang, hörte er auf das Gekreisch der kleinen Prenjaks mit den gestreiften Flügeln, das noch lauter war als das Summen der dicken Hummeln mit dem gelben Leib. Wir achteten allerdings gleichfalls nicht auf seinen Gesang. Lintang war mit dem Satz des Pythagoras beschäftigt, Harun schlief schnarchend, Samson zeichnete einen Mann, der ein Haus hochhievte, und Sahara war in ihre Stickerei vertieft, mit der sie den Spruch »Sag die Wahrheit, auch wenn sie bitter ist« verewigen wollte, während Trapani das Taschentuch seiner Mutter faltete. Syahdan, Kucai und ich unterhielten uns über die Schuluniform an der Schule der Bergbaugesellschaft und über unseren Plan, das Fahrrad des Religionslehrers an den Banyanbaum zu hängen. Mahar war der Einzige, der zuhörte.
Bu Mus hielt ihre Hände vors Gesicht und bemühte sich sehr, bei A Kiongs Katzengeschrei ein Lachen zu unterdrücken. Als A Kiong fertig war, sah Bu Mus zu mir herüber. Jetzt war ich an der Reihe.
Nachdem mich Bu Mus neulich ausgeschimpft hatte, weil ich immer das Lied Potong Bebek Angsa , »Schlachten wir die Gans«, gesungen hatte, konnte ich immerhin einen Punkt verbuchen, indem ich diesmal Indonesia Tetap Merdeka , »Indonesien ist endlich frei«, anstimmte. Sahara sah kurz von ihrer Stickerei auf und blickte mich voller Abscheu an, weil ich zu schnell und zu laut sang und die Noten nicht traf. Ich kümmerte mich allerdings nicht um ihre Verachtung und sang aus voller Kehle weiter.
»Freudiger Jubel … Freude überall, unser Land ist endlich frei. Indonesien ist frei …«
Bu Mus konnte sich jetzt nicht mehr halten, sie lachte Tränen. Ich versuchte verzweifelt, die Melodie zu halten, doch je mehr ich mich bemühte, desto schräger klang es. Das nennt man mangelndes Talent.
Bu Mus rettete mich, indem sie mich schleunigst bat, mit meinem Gesang aufzuhören, noch bevor das schöne Lied zu Ende war. Jetzt zeigte sie auf Samson.
Er, der sozusagen das Ebenbild eines Riesen war, trug passenderweise das Lied Teguh Kukuh Berlapis Baja , »Standhaft und beharrlich mit Stahl gepanzert«, vor. Er sang mit durchdringender Stimme, hatte den Blick gesenkt und stampfte fest mit den Füßen auf.
»Standhaft und beharrlich mit Stahl gepanzert! Fest verbindet uns die Kette der Begeisterung! Unerschütterlich die Festung Indonesien!«
Aber auch er entstellte die richtige Melodie bis zur Unkenntlichkeit. Daher schickte ihn Bu Mus, noch bevor die erste Strophe zu Ende war, wieder auf seinen Platz. Samson fragte verwundert: »Warum soll ich aufhören, Ibunda Guru ?«
Das nennt man mangelndes Talent und fehlende Selbsteinschätzung.
Kurz gesagt, Gesangsunterricht war in unserer Klasse nicht besonders aussichtsreich. Deswegen war er auch ans Ende des Vormittags gesetzt worden. Er sollte nur dazu dienen, die Zeit bis zum Mittagsgebet zu überbrücken, mit dem wir den Schultag beendeten.
»Wir haben noch fünf Minuten bis zum Mittagsgebet. Ein Lied könnten wir noch hören«, meinte Bu Mus. Wir sahen sie unwillig an. Es war ein besonders heißer Mittag. Von den Prenjak mit den gestreiften Flügeln kamen einzelne ans Fenster und kreischten aus Leibeskräften, während uns der Magen knurrte.
»Na, jetzt nehmen wir …« Bu Mus’ Blick fiel auf Mahar. »Mahar, komm du doch nach vorn, sing uns noch ein Lied, während wir auf den Gebetsruf warten.«
Bis dahin hatten wir Mahar noch nie singen hören, denn jedes Mal, wenn er an die Reihe hätte kommen sollen, war der Gebetsruf dazwischengekommen, sodass er noch keine Gelegenheit zu einem Auftritt bekommen hatte.
Als er vor uns stand, fing
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