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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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lobte ihn Bu Mus. Sie war versucht, Lintangs Denkfähigkeit zu erproben. »18 mal 14 mal 23 plus 11 plus 14 mal 16 mal 7.«
    Wortlos hielten wir unsere Stäbchen in der Hand, und in weniger als sieben Sekunden, ohne dass er sich irgendwelche Notizen gemacht hätte, ohne Zögern und ohne mit der Wimper zu zucken, rief Lintang: »651.952!«
    »Vollmond! Deine Antwort ist so schön wie der Vollmond! Wo hast du diese Gabe nur die ganze Zeit versteckt?«
    Bu Mus konnte sich nur schwer beherrschen, sonst hätte sie vor Freude laut losgelacht. Aber das erlaubte ihre religiöse Erziehung nicht. Stattdessen schüttelte sie zur Anerkennung seiner Leistung den Kopf und sah Lintang an, als hätte sie ihr Leben lang nach solch einem Schüler gesucht.
    Wir bestürmten ihn mit Fragen, wie er das geschafft hatte.
    »Lernt aus der Tabelle alle Produkte mit ungeraden Zahlen auswendig, die machen nämlich oft Schwierigkeiten. Lasst dann beim Produkt erst mal die Einer weg, dann auch die Zehner, denn es ist leichter mit Zahlen zu rechnen, die hinten Nullen haben. Den Rest erledigt ihr später. Und esst nicht zu viel, sonst werden eure Ohren taub und euer Hirn stumpf.«
    Ganz einfach! Es war nicht zu leugnen, dass hinter Lintangs selbst erfundenden Rechentricks Genialität steckte.
    Die Zeit verging, und Lintang entdeckte seine besondere Fähigkeit zum räumlichen Denken. Er war bald sehr versiert in mehrdimensionaler Geometrie. Er konnte sich unglaublich schnell die Oberflächen eines Objektes aus jedem nur einnehmbaren Winkel vorstellen. Er war in der Lage, komplizierte Strukturen zu zerlegen, und brachte uns die Technik bei, wie man die Oberfläche eines Polygons berechnet, indem man die einzelnen Seiten mit Hilfe des Euklidischen Theorems herunterbricht.
    Lintang war nicht nur gescheit, er war auch einfallsreich. Er erfand eine ganz spezielle Eselsbrückentechnik, um sich Dinge leichter zu merken. So entwickelte er zum Beispiel ein System der Körperfunktionen, Atmung, Verdauung, Bewegung, Sinneswahrnehmung, für den Menschen, für Wirbeltiere sowie für wirbellose Tiere.
    Wenn wir ihn etwa fragten, wie ein Wurm uriniert, konnten wir sofort eine klar geordnete und detaillierte Erklärung der Funktionsweise von Mikrovilli bekommen. So lässig wie ein Affe, der nach Flöhen sucht, stellte er Analogien her zwischen einem Wurm, der Kot ausscheidet, und dem System der Ausscheidungen bei Protozoen sowie der komplizierten Anatomie von kontraktilen Vakuolen. Ja, wenn man ihn nicht unterbrach, lieferte er mit Vergnügen noch einen Exkurs über die Funktionen des Cortex, der Medulla, der Bowman-Kapsel und der Nierenkörperchen für die menschlichen Ausscheidungen. Dank seiner Eselsbrückentechnik fiel es ihm nicht schwerer, sich sämtliche Verdauungssysteme einzuprägen, als eine sattgetrunkene Mücke zu erschlagen.
    *
    Lintang freute sich maßlos, wenn er an der Reihe war, das Zimmer von Pak Harfan zu fegen. Dort las er in den Büchern aus Pak Harfans Regal über Algebra, Geometrie, Biologie, Erdkunde, Gesellschaftslehre, Geschichte und viele andere Themen. Einige der Bücher waren auf Holländisch oder Englisch geschrieben. Aber Pak Harfan leitete Lintang geduldig an und lieh ihm gern seine Bücher.
    Lintang war verrückt nach Neuem, jede neue Information war für ihn wie eine Lunte, die zu einer weiteren Erkenntnisexplosion führte. Folgende Geschichte passierte an dem Tag, an dem er von Bodenga, dem Krokodilmenschen, gerettet worden war.
    »Der Koran erwähnt gelegentlich Namen von Orten, die man sorgfältig übersetzen muss«, erklärte Bu Mus im Fach Geschichte des Islam, einem Pflichtfach an der Muhammadiyah. Wer darin eine mangelhafte Note bekam, hatte keine Chance, versetzt zu werden. »Zum Beispiel, adnan ardli , das Nachbarland, das die persische Armee besetzte, im Jahr …«
    »620 nach Christus! Persien erobert das Kaiserreich des Heraklius, das durch Aufstände in Mesopotamien, auf Sizilien und in Palästina bedroht ist. Es wird auch von den Avaren, Slawen und Armeniern angegriffen«, unterbrach Lintang voller Eifer.
    Uns stand der Mund offen. Bu Mus lächelte amüsiert und setzte fort: »Das Nachbarland …«
    »Byzanz! Der alte Name für Konstantinopel, den die Stadt nach Konstantin dem Großen bekam. Sieben Jahre später erkämpfte das Land seine Freiheit zurück. Die Freiheit, die in der Heiligen Schrift angemahnt wird und die ihnen von den arabischen Polytheisten verweigert wurde – warum heißt es das Nachbarland, Ibunda

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