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Die Regenbogentruppe (German Edition)

Die Regenbogentruppe (German Edition)

Titel: Die Regenbogentruppe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Hirata
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vorzutreten. Als er vor ihm stand, lächelte er Mister Samadikun freundlich an. Hemmungen waren etwas, was Harun nicht kannte. Ihm war nicht bewusst, dass das Schicksal der Schule in seiner Hand lag.
    Harun lehnte sich also an die Schulter von Mister Samadikun und begann, ohne darum gebeten worden zu sein, ihm die ewige Geschichte von seiner dreifarbigen Katze zu erzählen, die gestern, am Dritten, drei dreifarbige Junge zur Welt gebracht habe. Verzweifelt versuchte Bu Mus, ihn davon abzubringen.
    »Also Harun, jetzt wollen wir mal sehen, was du in diesen fünf Jahren gelernt hast.«
    Mister Samadikun legte besondere Betonung auf die Worte »in diesen fünf Jahren«, um die ganze Sinnlosigkeit von Bu Mus’ Bemühungen um Harun deutlich zu machen. Besonders gemein daran war seine Absicht, Harun zu demütigen. Harun jedoch in seiner Unschuld wurde immer fröhlicher und war stolz, dass er gefragt wurde.
    »Was möchtest du in Zukunft einmal werden?«
    Harun betrachtete Mister Samadikun mit ernstem Gesicht, antwortete aber nicht, sondern lächelte nur geheimnisvoll. Mister Samadikun merkte, dass Harun die Frage nicht verstanden hatte. Triumphierend blickte er zu Bu Mus, als ob er sagen wollte: Siehst du, dein Lieblingsschüler versteht nicht einmal das Wort Zukunft.
    »Gemeint ist, wenn du einmal groß bist, was möchtest du dann werden, Harun? Doktor, Ingenieur oder Pilot?«, kam Bu Mus zu Hilfe.
    »Ooh!«, rief Harun wie jemand, der aus einer Betäubung erwacht. »Danke schön, Ibunda Guru .«
    Er sah zu Mister Samadikun auf. Seine Augen strahlten, dann senkte er den Kopf, als wüsste er die Antwort, traute sich aber nicht, sie zu sagen.
    »Na, Harun, was möchtest du werden?«, fragte Mister Samadikun noch einmal.
    Harun zeigte hastig auf Trapani. Mister Samadikun und Bu Mus blickten beide zu ihm hinüber. Trapani wurde verlegen.
    »Du musst nicht schüchtern sein«, ermunterte ihn Mister Samadikun.
    Harun zeigte abermals auf Trapani. Niemand verstand, was er wollte. Nur ich hatte es begriffen. Einmal, noch in der ersten Klasse, hatte er gewollt, dass ich mit ihm auf den höchsten Punkt des Minaretts der Al-Hikma-Moschee kletterte, um mir dort oben, wo wir ganz allein waren, zu gestehen, was er einmal werden wollte. Nur ich sollte das erfahren. Damit ich ihn nicht verriet, schenkte er mir drei gekochte Tarowurzeln. Ich musste sie hochhalten und dabei schwören, sein Geheimnis zu bewahren.
    Nun aber, als er auf Trapani zeigte und damit selbst sein Geheimnis preisgab, fühlte ich mich nicht mehr an meinen Schwur gebunden. Als Mister Samadikun nicht lockerließ und Harun weiter drängte, konnte ich mich nicht länger beherrschen und rief: »Wenn Harun groß ist, möchte er Trapani sein.«
    Alle rissen erstaunt die Augen auf. Auf Haruns Gesicht jedoch zeigte sich ein breites Lächeln. Er senkte den Kopf und versuchte, sein Lachen zu unterdrücken.
    Wir alle bewunderten Trapani, denn er sah von uns allen am besten aus und benahm sich wie ein Erwachsener. Harun wünschte sich also schon seit Langem insgeheim, wenn er groß wäre, Trapani zu sein. Mister Samadikun blickte voller Hohn zu Bu Mus hinüber. In den fünf Jahren ihrer Erziehung hatte Harun also gar nichts gelernt. Aber Mister Samadikun war noch nicht zufrieden.
    »Eine letzte Frage, Harun. Wie viel ist zwei und zwei?«
    Nun reichte es. Diese Frage war so einfach, dass selbst Kinder, die noch gar nicht zur Schule gingen, sie hätten beantworten können. Und sie diente nur dem Zweck, Bu Mus bloßzustellen.
    Überrascht sah Harun Mister Samadikun an und trat mit Würde und Stolz auf ihn zu.
    »Mister«, sagte er ganz ruhig. »Mister, Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?«
    »Nein, Harun, ich meine es ernst, ich möchte wissen, was du in der ganzen Zeit gelernt hast.«
    »Ach, Mister, Sie veräppeln mich! Das ist eine ganz, ganz leichte Rechenaufgabe. Ich habe schon viel weiter rechnen gelernt, bis weit über hundert, kein Problem!«
    »Sehr gut, Harun.«
    Als Mister Samadikun sah, mit welcher Sicherheit Harun auftrat, verhärteten sich seine Gesichtszüge. Er bemerkte, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte. Die Frage war zu einfach gewesen! Wenn er doch wenigstens gefragt hätte, wie viel zwei mal zwei ist! Die Situation war für Mister Samadikun unangenehm geworden, denn wenn Harun die Frage richtig beantworten konnte, war er selbst der Blamierte. Dann hätte er keinen Grund mehr, Harun aus der Schule zu werfen, und solange wir zehn Schüler waren, konnte

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