Die Regentin (German Edition)
Versöhnung... mit meinem Leben.«
»Nein, nein, das gelingt dir nicht. Du fürchtest doch den Dreck...«
»Ich bin des Kämpfens müde, Ebroin, und ich will nicht länger fortlaufen. Was immer mich von nun an treiben wird – es soll kein nutzloses Sehnen sein: nach einer Heimat, welche längst verloren ist, nach Menschen, welche mich längst vergessen haben, nach einem Leben, das nie das meine war. Und es soll kein Ekel sein vor dem, was ich durchleiden musste, kein Ekel vor dir... und auch keiner vor mir selbst.«
»Nein, nein!«, schrillte er wieder. »Du darfst nicht einfach fliehen! Wie erbärmlich wäre das, wie beschämend, wie...«
Seine Stimme kippte endgültig. Eine Weile stammelte er nur mehr hohe, durchdringende Töne. Dann ging er wieder auf sie los, nicht mit seinen langen Händen, nicht mit Schlägen seiner Fäuste, sondern mit dem ganzen Leib, als wollte er sich auf sie fallen lassen, sie zerquetschen und zugleich umarmen. So nah hatte sie ihn nie gespürt, distanzlos, Haut an Haut, als würde er sie aufsaugen, sie sich einverleiben. Sie erschrak – und er mit ihr. Es gelang ihm freilich nicht, sich wieder gänzlich zu lösen, sondern nur, die Nähe in Gewalt zu wandeln. Noch an sie gepresst, drückte er sie auf den Boden, ging selbst in die Knie, schlug ihr, stets aufs Neue, den Kopf auf den kalten Stein, und dann, als sie regungslos liegen blieb, da wälzte er sich mit ihr im Arm zum Kamin hinüber, griff in den grauen Dreck, der dort vom letzten Feuer stand, und überschüttete sie mit der Asche – so wie sie es einst ihm angetan hatte. Alsbald waren siebeide von einem grauen Schleier verhüllt, seiner brüchiger als der ihre, denn über seine Wangen perlten Tränen und rissen Täler in den Staub.
Keuchend und schluchzend ließ er nun endlich ab von ihr, ließ ihr die Freiheit, sich aufzurichten. Sie tat es langsam, nicht ärgerlich, wie er wohl erwartete, sondern betreten. Sie hockte sich neben ihn, ergriff seine Hand.
»Ebroin, Ebroin«, nannte sie mehrmals seinen Namen. »Ich habe keine Angst mehr vor der Asche... und vor dir.«
Wiewohl er darum kämpfte, sich zu beherrschen, schluchzte er erneut auf. Sie betrachtete ihn von der Seite, und kurz ging ihr durch den Kopf, dass er gar nicht hässlich wäre, wäre sein dürrer Leib nur ein wenig breiter, seine weißen Haare ein wenig dunkel, seine roten Augen blau oder braun. Es fehlte ihm lediglich an Farbe, dann wäre er ein ansehnlicher Mensch gewesen. Und vielleicht hätte es auch nur ein wenig Führung bedurft, ein wenig Verständnis und ein wenig Glaube an ihn, dann wäre er ein guter Herrscher gewesen, milde statt grausam, abgeklärt statt ängstlich.
Bedauernd legte sie ihren Arm um seinen dünnen Hals, wissend, dass sie ihm weder das eine noch das andere geben konnte, weder Farbe noch gütige Gelassenheit, weil sie über Ersteres nicht verfügte und Letzteres ihr so oft selbst fehlte. Nur diesen einen Kuss – den gab sie ihm, nicht nur auf seine nassen, grauen Wangen, sondern auf seine Lippen, die weich waren, wiewohl schmal. Sie hatte einst Aidan geküsst und auch Chlodwig, doch niemals hatte sie – so wie jetzt – selbst ihre Zunge in des anderen Mund geschoben, um ihn ganz zu schmecken, ihn sich ganz anzueignen.
Er ließ sie gewähren. Und sie war sich sicher, dass er in diesem Augenblick die gleiche Wärme spürte wie sie selbst. Gewiss war diese Wärme trügerisch, weil begrenzt: Noch heute würde sie vor ihm fliehen und er zurückkehren an die Macht, um ihr fortan sein Leben zu weihen. Aber trotz allem verhielt es sichso, dass er nun in ihren Armen ruhiger atmete, dass er sich nicht spottend, streitbar, grausam gab wie sonst, sondern einfach nur geborgen war und ruhig. Ja, es war – für diesen einen gestohlenen Augenblick – als habe er seinen Frieden gefunden. Und sie den ihren.
Epilog
Chelles-sur-Marne,
680 n. Chr .
Rigunth bat die Versammelten, mit der Sterbenden allein sein zu dürfen – die Schwestern von Chelles, deren Gebet sich wie ein ruhig plätscherndes Wasser in der Zelle ausgebreitet hatte, als auch die Priester, die aus dem ganzen Land gekommen waren, um in der Todesstunde der Königin aus dem Evangelium zu lesen, Psalmen zu singen und die schwindende Seele mit Öl zu salben. Selbst Theuderich schickte sie fort, den jüngsten Sohn, der Bathildis’ Statur hatte, jedoch den einfältigen Blick des Vaters, und der dem Tod seiner Mutter so ängstlich, so ratlos, zugleich so ergeben entgegenblickte wie
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