Die Regentin (German Edition)
dem viele glaubten, dass er das Erwachsenenalter nicht erleben würde, zu sich kommen, lehrte ihn selbst das Lesen und erzählte ihm von seinem Großvater Chlodwig. Manchmal meinte Rigunth, einen zögerlichen Blick an ihr wahrzunehmen, als wollte Bathildis das Kind insgeheim prüfen, ob es dem rohen Vater glich. Doch Daniel glich Theuderich in jungen Jahren – zu schlicht war er, zu einfältig, zu wenig durchtrieben, um in die Politik einzugreifen.
Ja, irgendwann hat Aidan sich genügend eingeredet, dass Du tot sein müsstest. Und von diesem Tag an durfte niemand mehr Deinen Namen sagen .
Nun, ich tat es ganz gewiss nicht. Eine gute Ehefrau darf dem Gatten nicht widersprechen. Und ich hatte auch einen anderen Grund, nicht daran zu rühren: Ich hatte Furcht, dass er ein jedes Mal, wenn er mich anblickte, Dein Gesicht suchte. Stets trug ich schwer an dem Glauben, ich schürte seine Kümmernis, anstatt ihm das Leid erträglicher zu machen. Ich war überzeugt, dass ich Dich nur unzureichend ersetzen konnte .
In all den Jahren, das beteuere ich Dir beim Leben meiner drei Töchter, wusste ich nichts von dem Schwur, den ihr beide in der letzten Nacht geleistet hattet: Dass jener, der als Erster freikäme, den anderen nicht vergessen dürfte, sondern alles Menschenmögliche tun sollte, um ihn wiederzusehen. Während ich also dachte, er würde Dich verschweigen, weil er den Schmerz um Dich nicht ertrüge und an die schreckliche Zeit nicht erinnert werden wollte – war es in Wahrheit die Scham, die ihn das Vergessen suchen ließ .
Denn ebendieser Schwur, von dem ich nichts ahnte, war für ihn das Schmerzlichste von allem. Er hat ihn gebrochen .
Gegen den bitteren Krieg, der auf Chlothars und Childerichs Tod folgte und in dem alle gegen alle kämpften, konnte Bathildis nichts mehr tun.
Sämtliche Großen von Neustrien und Austrasien überwarfen sich und bekriegten einander bis aufs Blut. Die einen standen hinter Theuderich, den einzigen überlebenden Sohn von Chlodwig II. Die anderen hingegen wollten Sigiberts Sohn Dagobert, den man eilig aus dem irischen Exil holte, zum König machen.
In all diese blutigen Kämpfe, in all diese neu entfachten Fehden stürzte sich Ebroin, der dem verhassten Kloster wieder entflohen war, mit willkürlicher, nie zu sättigender Grausamkeit.
Doch warum hat Aidan das getan? Warum den Schwur gebrochen?
O Bathildis, geliebte Schwester in Christus, ich kann es nur ahnen! Es kam der Tag, als wir von Dir erfuhren, als jemand – der offenbar aus Deiner neuen Heimat geschickt wurde – bei uns als Gast weilte, und nicht nur nach Aidan fragte, sondern von Deinem Schicksal berichtete!
Ich rechnete damit, dass Aidan vor Freude das Herz zerspringen müsste. Ich gönnte ihm das Glück, wiewohl ich zugleich vor Furcht verging. Wie unliebsam würde ihm von nun an mein Anblick sein! Nicht länger würde er mich nur mit einer Toten vergleichen, sondern mit einer... Königin!
Doch nicht nur, dass er dem Gaste gegenüber kurz angebunden blieb – auch mit mir sprach er kein Wort über Dich. Sein Schweigen bestürzte mich. Es sollte bis zu seiner Todesstunde währen .
Wie hätte ich dies Schweigen brechen sollen? Wie Dir schreiben, wenn er es nicht tat?
Bis heute habe ich es nicht gewagt – und täte es auch fürderhin nicht, wenn Aidan noch lebte. Doch wisse, Schwester, und teile den Kummer mit mir: Er weilt nicht mehr unter uns. Vor einem Monat hat er den Odem ausgehaucht und ist zu Gott heimgekehrt, und erst am Totenbett sprach er jene Worte, die mir sein Tun erklärten... und es auch Dir erklären werden .
Ganz gleich, auf welcher Seite er gerade stand – mal suchte er Verbündete in Austrasien, mal in Neustrien –, stets pflasterten Tote Ebroins Weg. Leudesius zählte zu ihnen, Erchinoalds Sohn, der in den Monaten, da Ebroin eben erst dem Kloster entkommen war, den Rang des Major Domus innehatte. Ebroin ließ ihn rasch beseitigen, und bald folgte dem blonden Sohn von Erchinoald und Leutsinda Leodegar von Autun als nächstes Opfer nach. Eben noch hatten sie sich zueinander als Bündnispartner bekannt, da fühlte sich Ebroin von dem Bischof schon übergangen, begnügte sich nicht, ihn heimlich zu erschlagen oder zu enthaupten, sondern ließ ihn erst blenden, dann kastrieren, ihm dann die Zunge herausreißen... und dann erst qualvoll sterben.
Die Wahrheit ist: Allein Dein Name, Bathildis, hat in Aidan tiefste Scham gezeugt. Unter Schmerzen und in Todesangst hat er mir das gestanden – mir und
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