Die Regentin (German Edition)
Stillstand nötigte.
Letzteres lag Acha nicht. Obwohl ihre Knochen manchmal knackten wie morsches Holz und ihr einstmals kräftiges, aber nun lichtes Haar eine Farbe angenommen hatte, als habe sie es in Staub gebadet, hatte das Alter ihr doch nicht die Lust genommen, wendig durch die Welt zu jagen, sich vom beschwingten Tagesgeschäft auf Trab halten zu lassen und nur dann widerwillig innezuhalten, wenn die Müdigkeit ihre Lider niederpresste.
Heute freilich hätte sie einiges darum gegeben, einschlafen zu können und erst dann wieder aufzuwachen, wenn das Kind geboren war. Sie hasste es schon jetzt nicht minder als das Warten darauf. Gerne könnte es auf ewig im aufgedunsenen, blau geäderten Leib stecken bleiben.
Nachkommenschaft war zwar das Wertvollste auf Erden und dafür zu sorgen die Pflicht eines jeden ihrer Bewohner, aber gerade deshalb wollte Acha der Schwiegertochter nicht gönnen, solcherart ihren Wert für den Haushalt zu steigern. War es nicht schlimm genug, dass ihr maulfauler Sohn diesem Weibe mehrRespekt entgegenbrachte als seiner Mutter? Hatte Estrith nicht jene widerwärtigen Sitten eingebürgert, die die alten Götter vergraulen sollten?
Oh, gerne hätte sie gesehen, wie diese Götter die junge Aufmüpfige bestraften, indem sie ihr Kinder verweigerten! Doch nun lag Estrith allem heimtückischen Hoffen zum Trotz von Wehen geschüttelt da und mühte sich ab, das Köpfchen durch die rote, schmierige Scham zu pressen.
»Es scheint mir gar sehr lange zu dauern«, murmelte eben eine der kuhäugigen Mägde, »’s geht nun schon seit Stunden nicht weiter.«
»Vielleicht liegt das Kleine falsch herum«, stimmte eine andere zu, nicht minder gleichgültig glotzend. Sie hielt den Gürtel in der Hand, den Estrith für gewöhnlich als Hausherrin trug, jedoch für die Geburt abgenommen hatte. An Spangen befestigt waren Nadeln und ein Messer, desgleichen eine Kordel mit allen wichtigen Schlüsseln.
Missmutig starrte Acha auf dieses Insignium der Macht, das zugleich Zankapfel zwischen den Frauen war, denn diesen Gürtel, so befand Acha, sollte sie als Älteste tragen, wohingegen Estrith befand, dass er allein ihr zustünde – war sie es doch gewesen, die den christlichen Glauben in dieses Haus gebracht und solcherart für jene Zeitenwende gesorgt hatte, der sich alleine Acha hartnäckig verweigerte.
Estrith stöhnte und griff nach der Hand einer der Mägde. Jene entriss sie ihr, auf dass sie nicht schmerzhaft zudrücken konnte.
»Ha!«, lachte Acha, genauso wenig gewillt, der Schwiegertochter nahe zu treten, um ihr den Schweiß abzuwischen. »Bist also nichts weiter als ein Schwächling, so wie dein Christengott! Als ich geboren habe, entfuhr kein Laut meinen Lippen. Was soll dein Mann denken, der da draußen wartet? Nicht allein, so wie mir zugetragen wurde. Eben habe ich erfahren, dass Ricbert eingetroffen ist.«
Freilich, dachte Acha, wenngleich sie sich hütete, das laut auszusprechen, freilich waren beide Männer gewiss längst mit Met gefüllt, sodass sie nicht mehr hörten, was sich hier im Langhaus zutrug.
Die Gebärende ächzte wieder, vielleicht aber war es auch Hohngelächter, das da über die aufgesprungenen Lippen kam.
»Nun«, murrte sie mit gepresster Stimme, »dies kann dich kaum freuen, du alte, bösartige Vettel! Hasst du doch Ricbert nicht weniger als mich und...«
Sie schrie auf, als eine neue Wehe sie erfasste. Die beiden Mägde glotzten träge auf den Blutschwall, der sich zwischen den Beinen ergoss, »’s kann sein, dass das Köpfchen jetzt doch kommt«, murmelte eine gleichgültig, anstatt daran zu denken, Estriths Scham mit Schmalz einzureiben, auf dass sie geschmeidiger wurde.
Oh, soll das Balg doch in diesem roten Leib ersticken!, schimpfte Acha innerlich. Soll Estrith mitsamt dem Kind verrecken!
Ja, wegen Ricberts Einfluss auf ihren Sohn Thorgil haderte sie so sehr wie wegen jenem Estriths. Auch er – ein Christ. Nach Northumbrien (von Acha stets Saxonia genannt) war er gekommen, als König Edwin die Schwester Eadbalds von Kent heiratete. Das war sieben Jahre her, und in dieser Zeit hatte ein gewisser Paulinus, der das Brautpaar begleitet hatte, den man »Bischof« hieß und der sich – wie Acha trocken befand – gerne reden hörte, vor allem in Gegenwart möglichst vieler Menschen, die Lande vergiftet. Den König hatte er zuerst getauft, dann dessen Getreue, schließlich alle Fürsten, zu denen auch Achas Sohn Thorgil zählte. Damit begann der Niedergang des alten
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