Die reinen Herzens sind
Decker richtete sich auf. »Jedenfalls nimmst du Hannah heute mit nach Hause. Deine Mutter zieht zu uns. Sie ist überglücklich, daß ich sie um Hilfe gebeten habe. Hätte nie gedacht, daß ich für Schwiegermütter mal dankbar sein würde.«
Rina brachte ein Lächeln zustande. »Cindy war wirklich glücklich, daß sie alles miterlebt hat. Sie hat der liebe Gott geschickt. Wenn sie nicht gewesen wäre …«
»Du solltest nicht mal daran denken«, fiel Decker ihr ins Wort.
Einen Moment war es still. Ihr Schweigen war eher bedrückend als tröstlich. Decker räusperte sich. »Also, deine Mutter und Cindy passen auf dich auf und auf die Kinderschwester. Es ist schrecklich, so mißtrauisch zu sein, aber nach allem, was passiert ist …«
»Das kann man wohl sagen. Peter, Georgina meint, Nora sei die Beste. Auf Georgina ist Verlaß.«
»Versprich mir nur, daß du gut auf dich aufpaßt! Keine unnützen Klimmzüge, Rina. Gönn dir Ruhe und Entspannung. Lies das Buch, das du schon so lange herumliegen hast.« Decker sah auf die Uhr. »Weißt du, wo Cindy ist?«
»Jack ist vor ungefähr einer halben Stunde mit ihr weg.« Rina verschränkte nervös die Hände. »Peter, wer paßt auf Hannah auf.«
»Sämtliche Säuglingsstationen werden scharf bewacht. Um Hannahs Sicherheit mußt du dir keine Sorgen machen. Sie ist gut aufgehoben. Keine Angst.«
»Als die Schwester das letzte Mal bei mir Fieber gemessen hat, hatte ich keine Temperatur mehr.« Rinas Augen glänzten feucht. »Meinst du, sie würden sie mir jetzt bringen?«
Decker erinnerte sich, wie sehr es ihm geholfen hatte, seine Tochter in den Armen zu halten. Rina hatte dieses Gefühl bitter nötig.
»Ich frage den Arzt, Liebes.« Decker stand auf. »Ich bin sicher, es wirkt Wunder.«
»Es ist das einzige, wonach ich mich jetzt sehne!«
»Kann ich verstehen. Ich suche Dr. Hendricks.«
Rina trocknete ihre Tränen. »Peter, die Sache mit dem entführten Baby … Ist das dein Fall?«
»Ich habe ihn dazu gemacht.«
»Darüber bin ich froh. Du hast die richtige Wahl getroffen.«
Decker dachte darüber nach. Die richtige Wahl!
Es war seine einzige Wahl gewesen.
Die Vernehmung fand in einem leeren Entbindungszimmer statt. Ein Metallbett mit Fußstützen am Fußende, Infusionsständer, wie Soldaten aufgereiht an der Wand, Monitore, ein Nachttisch und ein Klingelknopf. Kalt und unpersönlich, dachte Marge. Sie fragte sich, ob es nicht einen Mittelweg zwischen der High-Tech-Geburt und der sogenannten natürlichen Geburt gab.
Sie zog einen roten Plastikstuhl heran und bedeutete Cindy und ihrem Großvater, auf dem Bett Platz zu nehmen. Peters Tochter zu vernehmen würde keine leichte Sache werden. Aber im Vergleich zu den Rodriguez-Brüdern war es ein Kinderspiel. Die Brüder waren eine harte Nuß gewesen. Trotzdem hatte Marge das Gefühl, daß sie mit der Entführung nichts zu tun hatten.
Cindy war aufgeregt. Ein Quentchen Schuldbewußtsein war sicher auch dabei. Jack Cohen saß dicht neben ihr, hatte den Arm um ihre Schultern gelegt.
»Alles in Ordnung, Kleines?« fragte er Cindy.
»Ja, bestens.«
»Möchtest du was essen oder trinken?« erkundigte sich Marge.
»Nein, danke«, lehnte Cindy ab.
»Bitte, sei ganz entspannt«, fuhr Marge fort. »Je ruhiger du bist, desto besser kannst du dich erinnern.«
»Ich wünschte, ich könnte mich an mehr erinnern! Wenn ich nur besser aufgepaßt hätte!«
»Kleines, niemand konnte vorhersehen, daß so etwas passiert«, beruhigte Cohen sie. »Entspann dich und beantworte die Fragen nach bestem Wissen und Gewissen.«
Cindy fühlte einen Kloß im Hals.
»Also fangen wir an«, sagte Marge. »Cindy, erinnerst du dich, wann du in die Säuglingsstation J gekommen bist?«
»Gegen drei, vielleicht auch vier Uhr am Nachmittag.«
»Wer ist alles dort gewesen, als du ankamst?«
»Marie … Marie Bellson.«
»Sonst noch jemand?«
Cindy dachte kurz nach. »Es könnte noch … nein, ich erinnere mich nicht.«
»Aber du erinnerst dich genau, daß Marie Bellson auf Station J gewesen ist?«
»Als ich ankam, ja.«
»Wen hast du sonst noch auf der Station J gesehen?«
Cindy seufzte. »Die Frage ist eher, wen ich nicht gesehen habe. Da herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Einige Leute trugen sterile Kleidung, die Väter und Großeltern zum Beispiel. Sie durften in die Nähe der Babys. Andere blieben draußen, brachten etwas in den Lagerraum oder verschwanden in der Schwesternstation. Da waren außerdem die Putzfrauen
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