Die reinen Herzens sind
»Pete, tief religiöse Menschen entführen im allgemeinen keine Kinder!«
Decker wußte eine Menge über religiöse Menschen, seine Mutter und seine Frau gehörten in diese Kategorie. Marge hatte recht. Von Herzen an Gott zu glauben hatte nichts mit Kindesentführung zu tun. Allerdings benutzten eine Menge verdrehter Leute Gott als Ausrede für ihr impulsives oder falsches Handeln.
»Was hast du von Cindy erfahren?« fragte Decker.
Marge berichtete und fragte dann: »Was hältst du davon, daß Marie Lourdes Babypflege beigebracht hat?«
»Hat Lourdes das dir gegenüber nicht erwähnt?«
»Nein. Auch nicht, daß Marie mit ihr gebetet hat. Aber das will nichts heißen. Sie war völlig aufgelöst, als ich mit ihr gesprochen habe. Später werde ich sie genauer befragen, herauskriegen, was Marie ihr gesagt hat.«
Es war einen Moment still.
»Woran denkst du?« fragte Decker.
»Falls Marie der Meinung war, daß Lourdes mit ihrem Kind nicht umgehen kann, hat sie das Kind vielleicht tatsächlich entführt. Aus Sorge um seine Sicherheit.«
»Kam Lourdes dir besonders leichtfertig vor? Oder hat sie vielleicht ein Drogenproblem?«
»Nein, aber unsere Unterhaltung war sehr oberflächlich.«
»Schätze, Marie hat schon Hunderte von jungen Müttern wie Lourdes Rodriguez erlebt. Warum also ausgerechnet dieses Baby?«
»Vielleicht ist eine Sicherung durchgebrannt. Vielleicht glaubte sie in Gottes Auftrag zu handeln!«
»Marie scheint kaum die Frau zu sein, die allmählich durchdreht. Jedenfalls hat sie keinen Anlaß zu Befürchtungen in dieser Richtung gegeben.«
»Nicht äußerlich, Pete«, mahnte Marge.
»Ja, natürlich. Und niemand scheint sie näher gekannt zu haben.«
»Vielleicht findest du was in ihrer Wohnung.«
»Möglich.« Decker hörte jemand seinen Namen rufen. Er drehte sich um. »Was gibt’s, Sergeant Harlow?«
»Sergeant Decker, wir haben im Parkdeck was gefunden.«
»Maries Wagen?« fragte Marge.
»Nein. Sieht eher nach frischem Blut aus.«
14
Zuviel Adrenalin, dachte Tandy. Mach langsamer. Denk an die Worte des Gurus: weniger Wiederholungen, mehr Gewicht.
Das war ihr Fixpunkt. Den durfte sie nicht aus den Augen verlieren. Die Ausbildung der Muskeln. Anderenfalls entglitt ihr die Kontrolle. Und das war ein Sakrileg. Verliere nie die Kontrolle!
Weniger Wiederholungen, mehr Gewicht.
Verlier sie nicht, die Kontrolle, Roberts. Behalte alles im Griff.
Weniger Wiederholungen, mehr Gewicht.
Kontrollierte Kraft!
Sie holte tief Luft und atmete langsam aus. Dann legte sie eine Hantelscheibe auf jeder Seite zu. Sie wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Die Haut ihrer Wangen war wie samtweicher Brandy. Damals, als sie als Model gearbeitet hatte, hatten ihr die Leute die Poren mit Gift zugeschmiert. Die Unmengen von Make-up sollten die Illusion einer glatten, makellosen Haut entstehen lassen. Warum sich nicht richtig ernähren, trainieren und wirklich makellos sein?
Nie die Kontrolle verlieren.
Anderenfalls kommen sie zurück.
Nicht versagen, Roberts! Diesmal nicht!
Sie biß die Zähne zusammen und glitt unter der Hantelstange des Fitneßcenters in die richtige Position. Ihre Finger schlossen sich um das Metall.
Richtige Lage.
Arme parallel, Rücken durch ein zusammengerolltes Handtuch gesichert, Füße fest auf dem Boden.
Sie fühlte ihr Herz jagen.
Einatmen und ausatmen während der Übung.
Eins.
Das laute metallische Klirren, als die Gewichte gegeneinanderschlugen.
Nicht gut. Nicht kontrolliert genug. Sie mußte die Hantelstange vorsichtig wieder ablegen. Niemals durfte man sie einfach fallen lassen.
Noch einmal.
Einatmen, ausatmen.
Zwei.
Die Muskeln zuckten vor Anstrengung, Schweiß rann ihr über Gesicht, Bauch und aus den Achseln.
Langsam ablegen.
Besser, viel besser.
Kontrolliert.
Du kannst es!
Noch mal!
Einatmen, ausatmen.
Die Anspannung der Muskeln, das Zittern der Glieder, sie ließ mit einem Gebrüll los, das einen Löwen verscheucht hätte.
Tu es, Mädchen! Tu’s!
Rums! Drei.
Das Klirren des Metalls schmerzte in ihren Ohren.
Du verlierst es, Tandy. Du verlierst es, du verlierst es …
»Du bist aber früh dran.«
Erics Stimme.
Gott sei Dank! Da war jemand, der die Dämonen verscheuchte.
»Ich bin direkt von der Arbeit gekommen«, sagte sie leise. »Bist du nicht stolz auf mich?«
»Braves Mädchen!« Eric grinste. »Du schaffst es!«
Wieder einatmen. Ausatmen mit Gebrüll.
Dann versuchte sie erneut, die Hantelstange zu drücken.
Zu schwer.
Auf halber
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