Die reinen Herzens sind
Decke kuschelte.
»Hauptsache, einer von uns kriegt seinen Schönheitsschlaf«, murmelte Decker.
Bellsons Bücherregale waren bis auf ein Dutzend zerlesener Taschenbücher und einige medizinische Lehrbücher fast leer. In den Schränken darunter fanden sich so unterschiedliche Dinge wie Brettspiele, ein Picknickkorb, einige Kameras. Marie Bellson besaß eine Fotoausrüstung, aber keine Fotos.
Decker war der Meinung, jeder Mensch müsse Fotos haben. Wo waren Maries Fotos? Er machte sich wieder an die Arbeit.
Die Wohnung sah nicht so aus, als habe Marie häufiger Besuch von kleinen Kindern. Die hellen Polstermöbel waren nicht das Ideale für klebrige Kinderfinger. Und der Teppichboden war noch weniger für schmutzige Schuhe und Spielsachen geeignet. Außerdem standen zahllose zerbrechliche Dinge in offenen Regalen, und die Steckdosen waren ohne Kindersicherung.
Decker ging weiter zu den Schlafzimmern.
Der erste Schlafraum enthielt ein Doppelbett, die Decken waren militärisch straff und exakt gefaltet. Der Bettüberwurf war eine daunengefüllte Patchworkdecke in Pink, Rosé und Weiß. Auf dem linken Nachttisch stand ein Telefon. Den rechten zierte ein Radiowecker. Der Wecker war auf zehn Uhr morgens eingestellt. In einem der Fächer darunter steckte eine Fernsehzeitschrift und ein Buch über bekannte Fernsehfilme. Im Fach des anderen Nachttischs lag eine zweite Bibel.
Decker blätterte sie durch. Zahllose Stellen waren unterstrichen. Eine bestimmte Systematik war nicht festzustellen.
Marie, die Krankenschwester.
Marie, die Bibelleserin.
Viel mehr gab das alles nicht her. Marie, die Frau, blieb jede Information schuldig.
Decker trat an die Schränke.
Maries Kleidung war sorgfältig auf eine weiße Schleiflackkommode und einen Wandschrank verteilt. Weder Babysachen noch andere Kleinkinderutensilien lagerten irgendwo im verborgenen. Falls Marie vorgehabt hatte, einen Säugling mit nach Hause zu nehmen, hatte sie in keiner Weise vorgesorgt.
So intim und weiblich das Schlafzimmer war, vermittelte es doch die sterile Neutralität einer Filmkulisse, von der Bibel einmal abgesehen.
Decker ging durch das Badezimmer, das die beiden Schlafzimmer miteinander verband. Die Tapete zeigte ein Kletterrosenmuster in Pink auf weißem Grund, Handtücher und Waschlappen in passenden Farben hingen an den Haken. Eine weitere Schale mit Duftblättern stand auf den mit Linoleum bezogenen Ablagen. Der Medizinschrank enthielt die normalen Hausmittel, darunter einige verschreibungspflichtige Medikamente. Unter dem Waschbecken lag ein Vorrat an Toilettenpapier, Kosmetikpads und Shampoo.
Bei der Begutachtung des letzten Schlafzimmers, das als Büro diente, fand sich auch nicht mehr. Zentrales Möbelstück war ein kleiner Schreibtisch mit einer weißen Löschpapierunterlage, einem Stifthalter aus Bronze, einer Kristalluhr und der dritten Schale mit Duftblättern. Marie schien süßliche Duftnoten zu bevorzugen, obwohl Decker keinerlei Parfümflaschen in ihrem Badezimmer hatte entdecken können. Dann fiel ihm ein, daß viele Krankenschwestern aus Rücksicht auf die Patienten kein Parfüm benutzten.
Er durchsuchte die Schreibtischschubladen.
Die Schublade in der Mitte enthielt wertlose Kleinigkeiten. In der linken Schublade befand sich Maries persönliches Briefpapier mit ihrem Namen in einer schwungvollen Schnörkelschrift. Die passenden Briefumschläge trugen ihre Adresse. Auch die kleineren Briefkarten hatten einen entsprechenden Aufdruck. Auf der rechten Seite des Schreibtisches bewahrte sie Akten auf … Auto, Versicherungen, Steuern, Rechnungen, Bankauszüge, Quittungen.
Decker nahm die Bankauszüge heraus. Nach einstündigem Studium der Unterlagen hatte er herausgefunden, daß Marie Bellson über ein Girokonto mit ungefähr dreihundert Dollar verfügte. Sie besaß außerdem ein Sparkonto mit ungefähr dreitausend Dollar. Es war drei Jahre zuvor eröffnet worden. Decker rief die Bank an, nur um festzustellen, daß das Sparkonto noch existierte und in der vergangenen Woche keinerlei Transaktionen auf dem Girokonto vorgenommen worden waren.
Eigentlich sprach alles dagegen, daß Marie sich mit ihrem Geld aus dem Staub gemacht haben sollte.
Decker dachte nach. Nichts, was er gesehen hatte, deutete auf eine Frau hin, die eine Entführung geplant hatte. Falls sie dennoch das Baby gekidnappt hatte, hatte sie das Krankenhaus nur mit dem verlassen, was sie auf dem Leib trug. Ihr Apartment war sauber und ordentlich. Wäre sie
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